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Alles bleibt anders (German Edition)

Alles bleibt anders (German Edition)

Titel: Alles bleibt anders (German Edition)
Autoren: Siegfried Langer
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dicht und Frank schätzte, dass es wohl mehrere Stunden dauern würde, um ein Grab zu finden, von dem er nur den Namen wusste, der auf dem Grabstein stand.
Vorausgesetzt, der vermeintliche Name war überhaupt der richtige.
Vorausgesetzt, dieser Name war überhaupt auf einem Grabstein eingraviert worden.
Wie Frank nämlich sah, stand auf vielen der Gräber nur ein schlichtes, neutrales Holzkreuz.
Wenn die Frau, von der Nansen als Franks Mutter gesprochen hatte, tatsächlich im Moment auf dem Friedhof war, war es durchaus möglich, sie zu verpassen. Sie brauchte sich nur in einem anderen Abschnitt aufzuhalten, während Frank in diesem hier die Reihen abklapperte. Langes Überlegen nutzte nichts. Frank musste irgendwo anfangen, einen weiteren Hinweis hatte er nicht. Das Eisentor passierend, wandte er sich nach links:
'Viel zu früh von uns gegangen – mein lieber Mann, unser lieber Vater, mein lieber Bruder – August Nolte * 13.12.1970 – + 16.8.2003',
'Unsere liebe, kleine Susanne – nur kurze Zeit auf Erden – nun zurückgekehrt in den Schoß der lieben Jungfrau Maria – * 12.2.2002 – + 14.2.2002',
'Im Leben wie im Tod – mit Christus vereint – Albert Eduard Karl, Beamter a. D., * 1924 – + 2004 – Gertrude Karl, geb. Fürbringer, * 1921 – + 2004'.
In ähnlicher Art ging es weiter, Grab für Grab, Inschrift für Inschrift. Fast alle Grabsteine waren mit christlicher Symbolik verziert: Kreuze, Marienbildnisse, eingravierte Zitate aus Altem und Neuem Testament. Dazwischen, immer mal wieder, Gräber jüdischer Verstorbener, kleinere und etwas größere Steine ruhten auf dem oberen Rand der Grabsteine. Andere Konfessionen sah oder erkannte Frank nicht.
Da, 'Miller': 'Edwina Maria Miller – Schwester des Ordens der Unbefleckten Empfängnis -* 1932 – + 1992'
Nein, Frank entschied, dass das wohl nicht das gesuchte Grab war und suchte weiter. Als er um die Ecke der nächsten Gräberreihe bog, sah er, etwa dreißig Meter entfernt, eine Frau mit Kopftuch an einem Grab knien, die Erde vor ihr mit einen Handrechen bearbeitend. Sie trug ein sommerliches Kleid mit blass-blauen Blumen gemustert, darüber hatte sie eine Schürze gebunden. Hinter ihr stand ein schwarzes Fahrrad, auf dessen Gepäckträger ein ovaler Korb eingeklemmt war.
Frank spürte sofort das unsichtbare Band zwischen dieser Frau und sich. Er war fündig geworden. Bevor Frank auf die Frau zugehen konnte – es verstrichen nur wenige Augenblicke – fühlte auch die Frau die Anwesenheit ihres Beobachters. Sie drehte ihren Kopf zur Seite und sah Frank geradewegs in die Augen. Der Rechen glitt aus ihren Fingern, ihre Lippen öffneten sich zitternd, sie schien leicht zu schwanken. Für einen Moment dachte Frank, sie würde umkippen, direkt auf das frisch geharkte Grab fallen. Er wollte loslaufen, da hatte sich die Frau auch schon wieder unter Kontrolle. Beherrscht und ruhig stand sie auf, immer noch zu dem Mann starrend, der da soeben um die Ecke und in ihr Leben getreten war. Sie flüsterte etwas, ihre rechte Hand machte die Kreuzzeichen über Stirn, Mund und Brust.
Frank verharrte. Da war er hierher gekommen, an einen Ort, von dem er gehofft hatte, dort seine Mutter und mit ihr seine Erinnerung wieder zu finden und wusste nun nicht, wie er dieser Frau begegnen sollte. Sie ergriff die Initiative und kam auf ihn zu.
Als die Frau, bei Frank angekommen, seinen Namen aussprach, klang das alles andere als fragend.
»Mutter?«
Franks ungläubige Entgegnung hörte die Frau nicht. Sie hatte ihn bereits mit beiden Armen umschlungen und drückte ihn fest an sich. Jede andere Möglichkeit, als sie ebenfalls in die Arme zu nehmen, war Frank augenblicklich genommen.
»Ich wusste es. Ich habe es immer gewusst«, murmelte die Frau, hin und her gerissen zwischen erlittenem Schmerz und wieder gewonnener Freude. Minutenlang erstarrten die beiden in Nähe und Enge.

Frank fährt auf seinem Kinderfahrrad. Er hat es zu Ostern bekommen. Es ist sein ganzer Stolz. Im Hinterhof dreht er seine kleinen Kreise. Seine Eltern stehen unweit entfernt, ihres Sprösslings erste Fahrt ohne Stützräder freudig beobachtend. Doch so ganz klappt das noch nicht mit der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts. Frank knickt mitsamt seinem Rad nach links weg, reißt die Hände von der Lenkstange, um beim Sturz aufs Kopfsteinpflaster das Schlimmste zu verhindern. Auf den Boden gefallen, begutachtet er die aufgeschürften Handflächen, an den Knien nässt Blut seine Hose. Er weint. Seine Mutter
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