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Allerseelen

Allerseelen

Titel: Allerseelen
Autoren: Cees Nooteboom
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es irgendwann, am Anfang dieser Kette, gegeben, und die wucherte nun weiter, jeder konnte seinen Teil davon abbekommen, niemand war immun. »Es gibt nichts zu ersetzen.« »Genau darum.« Nicht sentimental werden, aufstehen, in die Stadt gehen. Abschied. Abgewiesener Liebhaber geht noch einen trinken. Diese Dinge sind vorgeschrieben.
    Gemälde von Hopper, Mann an einer Bar. Wo ist mein Hut? Auf diesen Bildern tragen Männer immer Hüte. Und sie rauchen. Von seinem Platz aus konnte er das Hotel sehen. Ins Bett, das war die Lösung, diese Nacht hatte er nicht geschlafen. Im Hotel sagte er, daß er am nächsten Tag abreisen werde. Mission completed. Die Hitze stand senkrecht im Zimmer. Fernsehen, Bilder des Mannes, den sie diesmal gefangen hatten, ein junger Mann. Binnen achtundvierzig Stunden würden sie ihn erschießen, wenn die Regierung nicht tat, was die Regierung natürlich nicht tun würde. Also ein Todesurteil. Seine Schwester. Seine Verlobte, blond, breites Gesicht, griechischer Tragödienkopf, das Drama war bereits darauf gemalt und würde sich nicht mehr ändern, ein barbarischer Zug von Kummer und Schicksal, zuviel für Menschengesichter. Dem konnte man nicht entrinnen, das war echt. Nicht hinschauen. Er setzte sich auf die Bettkante und schaute. Dieses dicke blonde Haar sproß aus ihrer Stirn, wie kriegt man einen Mund so hin, offen, erstarrt, all die Zähne, natürlich ermorden sie diesen Mann, das tun sie doch immer. Alles muß immer erst wahr werden. Er war bereits tot, bevor er geboren wurde. Und dann wieder Rache, einmal, irgendwann. Er mußte eingeschlafen sein, denn als er aufwachte, lief das Ding immer noch, Autoreklame, ein nacktes Mädchen in einem Auto, das einen Slip hinauswirft. Keine Tragödienmaske, das nackte, entkleidete Gesicht verkaufter Menschen. Du siehst wie eine Figur aus der Werbung aus, hatte Erna das gesagt? Nein, das hatte er selbst gesagt, ich sehe wie eine Figur aus der Werbung aus. Jetzt lachte ihn ein Waschmittel an, oh, und durchscheinende, nebeneinander gebettete Garnelenleiber, bedeckt mit einer hauchdünnen Schicht Eis aus der Wintermaschine. Draußen war es bereits dunkel, tausend Neonsonnen waren rund um den Platz aufgegangen. Er rief Daniel an, nicht zu Hause. Auch recht. Wo war Daniels Bar noch gleich? Bar Nicaragua, Bar für drei Personen. Weiß der Teufel, vielleicht war er da. Calle de Toledo. Abends ein wenig zwielichtig, aber nicht wirklich. Und wenn schon. Der Kognak vom Nachmittag wühlte noch in ihm. Kamera mitnehmen? Man konnte nie wissen. Madrid bei Nacht, großartig. Also mitnehmen. Bei Tirso de Molina hatte sich die Zahl der Besoffenen verdoppelt, der Schriftsteller-Mönch stand hoch darüber, jetzt selbst ein steinerner Gast. Die Frau mit dem roten Haar war auch wieder dabei, sie stellte sich vor die Kamera und zog mit den Zeigefingern ihren Mund weit auf. Dies war kein Weglaufen, was er jetzt tat, sondern wieder ein Flüchten, begleitet von Hohngelächter, in eine kleine Straße hinein, irgendwo hier mußte doch die Calle de Toledo sein, verdammt, warum hatte er dieses bleischwere Ding mitgenommen, es war zu dunkel, sogar für ihn, hier in diesen Straßen hatten sie noch Gaslicht, könnte man meinen, neunzehntes Jahrhundert, so war es auch in diesem Tunnel an dem Morgen gewesen, als er von ihr kam, dieser Flur mit Zeitungen, er hätte besser in Japan bleiben sollen, die Mönche hatten keine Probleme, Sitzen und Singen, sie brauchten nicht durch enge Gassen und Straßen zu irren, plötzlich schien es, als hätten alle es auf ihn abgesehen, aber nein, da war der große, freie Platz, den er wiedererkannte, Triumphbogen unter Neonscheinwerfern, eklig kalkweißes Licht, wieder falsch. Hier irgendwo in der Nähe mußte die Bar sein, andere Straßenseite, links, ein schlampiges Wohnzimmer, noch kleiner, als er gedacht hatte, er paßte kaum rein mit seiner Kamera. Die drei Hocker waren besetzt. Kein Daniel. »Dort geh ich immer hin, wenn ich mein Bein suche.«
    Das Gespräch stockte, als er hereinkam, ein Verrückter, ein Ausländer, was will der hier? Die drei Männer, die hier saßen, hatten Daniels Akzent, Exilanten, alte Männer, er bestellte einen Kognak, gab einen aus, sagte, er sei ein Freund von Daniel, sei früher schon mal hier gewesen. Ah, Daniel, sagten sie, Daniel, sie tranken ihm zu, ernste, harte Gesichter, durch die der Krieg gezogen war, dies, diese paar Quadratmeter, war ihr Zuhause, und er war der zugelassene Eindringling. Daniel, sagte einer,
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