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Allein auf Wolke Sieben

Allein auf Wolke Sieben

Titel: Allein auf Wolke Sieben
Autoren: Voosen Jana
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durch meinen Körper. Nein, es ist gar nichts okay! »Du bist ja plötzlich rot wie eine Tomate«, stellt meine Schwester erschrocken fest. »Was ist denn?« Aber ich habe keine Zeit, mich um sie zu kümmern. Stattdessen drehe ich mich so schnell, wie es mir in meinem umfangreichen Kleid möglich ist, um und krabbele zurück auf die Rückbank des Wagens, schiebe meine Hand zwischen die Sitzkissen, durchstöbere den Fußraum. »Lena, was um alles in der Welt machst du da?«, ruft Julia, bis ich schließlich wieder aus dem Auto auftauche und mich ihr unglücklich zuwende. »Wozu habe ich mir eigentlich die Mühe gemacht, deine Schnittlauchlocken aufzudrehen?«, schimpft sie mich aus und beginnt, an meinen Haaren herumzuzupfen, doch mein Gesichtsausdruck lässt sie erstarren. »Was ist?«, fragt sie zum wiederholten Mal. »Sag nicht, dass du jetzt doch kalte Füße bekommst.«
    »Schlimmer«, sage ich düster, »ich habe Omis Kette verloren.«
     
    Ein paar Sekunden stehen wir einfach nur voreinander und sagen kein Wort. Dann bricht Julia das Schweigen: »Mist.«
    »Kann man wohl sagen.«
    »Bist du sicher, dass du sie umgelegt hast?« Irritiert sehe ich sie an.
    »Wieso ich? Du hast mich doch angezogen.«
    »Aber nicht die Kette. Oh, ich weiß, ich wollte sie gerade vom Frisiertisch nehmen, als es an der Tür geklingelt hat und Oli gekommen ist.«
    »Oli, natürlich«, murmele ich ärgerlich, als ob er was dafür könnte. Dann fange ich unvermittelt an zu heulen.
»Nicht, hör auf zu weinen«, versucht Julia mich zu beruhigen und zückt ihr Taschentuch. »Immerhin heißt das, dass du sie nicht verloren hast. Sie liegt zu Hause auf dem Frisiertisch.«
    »Das eine ist so schlimm wie das andere«, schluchze ich hysterisch. »Ich kann ohne diese Kette nicht heiraten, das weißt du doch. Seit Generationen tragen die Frauen in unserer Familie bei der Trauung diese Kette.«
    »Beruhige dich doch«, fleht meine Schwester und tupft vorsichtig mein Gesicht ab. »Denk doch an dein schönes Make-up.« Vor lauter Verblüffung höre ich auf zu weinen. »Na also, es geht doch«, meint sie zufrieden. »Und nun geh schon mal vor, ich fahre rasch nach Hause und hole die Kette, kein Problem.«
    »Aber das dauert ja mindestens eine Viertelstunde«, schniefe ich und sie zuckt die Schultern.
    »So lange muss der Bräutigam es noch aushalten, bevor er ein ganzes Leben mit dir bekommt«, sagt sie bestimmt und schickt sich an, in das Auto zu steigen.
    »Das geht nicht«, sage ich nachdrücklich und Olivers Worte klingen mir im Ohr. Fünf Minuten können eine Ewigkeit sein, wenn man auf seine große Liebe wartet. Kurz entschlossen stöckele ich meiner Schwester hinterher und hindere sie daran, die Autotür zu schließen. Dabei werfe ich einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Zehn nach drei. Entschlossen greife ich Julias Arm und ziehe daran. »Bitte lauf in die Kirche und sag Michael Bescheid«, sage ich bestimmt.
    »Süße, ich bin doch gleich wieder da.«
    »Trotzdem«, drängele ich. »Es ist zehn nach. Der Gag an der Sache ist vorbei.« Sie steigt zögernd aus dem Auto und sieht mir fest in die Augen.

    »Lena, jetzt mach nicht so ein Drama daraus. Michael wird nicht eine Sekunde daran zweifeln, dass du auftauchst.«
    »Umso schlimmer, dann wird er denken, mir ist was passiert«, sage ich plötzlich erschrocken.
    »Auf den dreihundert Metern vom Auto zur Kirche?«, fragt Julia ungläubig, doch mein unerbittlicher Gesichtsausdruck lässt sie schließlich einlenken. »Na gut, dann sag ich ihm schnell Bescheid«, seufzt sie ergeben, »auch wenn wir dadurch noch mal zehn Minuten verlieren. Bin gleich wieder da.« Ich sehe ihr hinterher, wie sie, so schnell es ihre hohen Absätze zulassen, in ihrem pastellgrünen Brautjungfernkleid davoneilt und blicke wieder sorgenvoll auf die Uhr. Viertel nach. Eigentlich sollte ich jetzt schon so gut wie verheiratet sein. Ich spüre, wie der Schweiß mir aus allen Poren bricht. Siedendheiß fällt mir ein, dass wir für den Gottesdienst nur eine Dreiviertelstunde Zeit haben, weil die nächste Trauung bereits für vier Uhr angesetzt ist. Kurz entschlossen steige ich auf den Fahrersitz. Mit einiger Mühe gelingt es mir, die mich umgebenden Stoffmassen ebenfalls im Auto unterzubringen und die Tür zu schließen, bevor ich mit quietschenden Reifen Vollgas gebe.
     
    Sehr viel schneller als erlaubt heize ich über die Elbchaussee, auf der heute zum Glück trotz des schönen Wetters ausnahmsweise mal kein Stau
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