Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Tränen dieser Erde

Alle Tränen dieser Erde

Titel: Alle Tränen dieser Erde
Autoren: Brian W. Aldiss
Vom Netzwerk:
leichten Regenmantel. Turner war nicht aufgetaucht. Er kam auf den verrückten Gedanken, nach San Diego zurückzufliegen.
    Er zwängte sich hinaus auf die Hauptstraße und in die nächste Bar.
    Der Whisky kostete hier noch mehr als im Hotel.
    Wenn Turner nicht mit dem Geld – bin ich in Schwierigkeiten, alles war klar, er sollte erscheinen sobald ich eingezogen war, als er die Tür öffnete…
    Er hatte alles falsch angepackt. Ein befähigter Forschungschemiker, in seiner Firma ein wichtiger Mann, hatte er sich für einen Weltmann gehalten, aber seine Welt war zu klein gewesen. Er hatte nicht einmal den Nerv gehabt, seine Wertpapiere zu Bargeld zu machen, für den Fall, daß jemand Verdacht schöpfte. Nun, der Kontaktmann in San Diego hatte ihm Geld versprochen, sobald er mit Turner in Hongkong zusammentraf. Er brauchte Turner; er war bei den letzten fünfzig Dollar angelangt.
    Ein Weißer kam herein und setzte sich zu Tindale an den Tisch. Seine Hände zitterten am Glas, als sei er schon betrunken.
    Turners Hand zitterte als er das Glas, betrunken, umklammerte, er war Ende Sechzig, ein stämmiger kantiger Mann verschwommen im Umriß, ungesunde blaue und rote Tönung der Haut, ich sterbe krächzte er, Herzanfall in einem großen Flugzeug, Herzstillstand noch als er umfiel, was für ein Gedanke, ist das dieser Kerl …
    »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mit Ihnen trinke? Das ist der einzige Tisch, an dem sich nicht die verdammten Chinesen zusammenquetschen.«
    »Meinetwegen.«
    »Die Kolonie geht kaputt. Wir haben hier nichts mehr zu sagen, wissen Sie. Sie können uns hier hinauswerfen, wie sie die Portugiesen aus Makao hinausgeworfen haben, wann es ihnen beliebt. Sie sind zu groß, wir zu klein, was?«
    »Von Politik verstehe ich nichts. Ich bin Amerikaner.«
    Er sah den älteren Mann scharf an, den Seidenschal im Kragen des schmutzigen weißen Hemds, und versuchte herauszubekommen, ob der Virus seine Wahrnehmung beeinträchtigte; er hatte die beharrliche Illusion, daß er den Mann sterben sehen sollte.
    »Ich bin Brite. Ich dachte, ihr Amerikaner mischt euch dauernd in die Politik der anderen ein! Sie werden mir das vielleicht nicht glauben – ich weiß, daß ich jetzt ein altes Wrack bin, aber im Zweiten Weltkrieg bin ich Jagdflieger gewesen. Ja, ein Held – Battle of Britain, neunzehn vierzig! Da hat man an Sie noch nicht mal gedacht! Damals war Britannien groß. Wir standen allein und trotzten der Welt, trotzten Adolf Hitler. Schon gehört von ihm? Na, das war unsere größte Stunde, unsere absolut größte Stunde. Seither – unser altes Land ist erledigt. Die ganze Welt geht vor die Hunde.«
    Tindale konnte sehen, daß der alte Mann sich für sein Thema zu erwärmen begann. Er wollte austrinken, aber der ehemalige Jagdflieger legte die Hand auf seinen Arm.
    »Bleiben Sie, alter Freund! Ich spendiere einen. Hören Sie – keine zehn Jahre nach Englands größter Stunde waren wir als Weltmacht erledigt, nicht wahr? Ich bin bei Suez mitgeflogen – Suez, wissen Sie, als wir unseren Kanal zurückholen wollten. Neunzehnsiebenfünfzig, war das, Anthony Eden und so. Was für eine nationale Schande, das, das Ende von Englands Größe! Keiner hätte das gedacht, nicht einmal neunzehnvierzig. Da waren Sie noch nicht mal auf der Welt.«
    Er leerte sein Glas bis auf den letzten Tropfen und starrte düster hinein. Als er Tindale wieder ansah, sprach er ernsthaft und nüchterner weiter.
    »Wir haben unsere Größe an euch, euch Amerikaner, weitergegeben, wissen Sie das? Aber ihr habt sie auch verloren. Die Initiative – Sie wissen, was ich meine, die Initiative – ist euch nach der Schande von Vietnam entglitten, so wie damals England nach der Suez-Verschwörung. Wir haben neunzehnsiebenundfünfzig ein Gewissen entwickelt im Land, eine Art Nationalgewissen. Bei euch war es genauso. Das ist das Ende einer Nation. Sie wurde zivilisierter und damit weniger fähig, zu herrschen.«
    Halb interessiert, sagte Tindale: »Wer hat Ihrer Meinung nach dann jetzt die Größe?«
    Der alte Pilot legte eine geäderte und mit Altersflecken übersäte Hand auf den Tisch.
    »Nach meiner Meinung, nach meiner Meinung haben nur die Länder ohne Gewissen die Macht. Nummer Eins, natürlich, die Chinesen. Nummer Zwei – nein, eine Nummer Zwei gibt es nicht. Das wäre Indien, wenn es nicht verhungern würde. Es gibt nur China, das sich über Asien ausbreitet. Niemand kommt gegen China auf. Schrecklich rücksichtslose Leute.« Er stand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher