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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition)
Autoren: Terézia Mora
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Rief Gott den Herrn, seinen einzigen Sohn und dessen holde Mutter, die unbefleckte Jungfrau an, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und möglichst alle zu vertilgen. Später starb der Großvater, er hatte es noch ziemlich lange gemacht mit der halben Lunge, und als dann wenig später Abels Vater, dieser Bastard verschwand, legte sich Oma auf die verwaiste Seite des Ehebetts. Ganz so hatte sich Mira die gegenseitige Unterstützung nicht vorgestellt, aber ich war nun einmal zeit meines Lebens feige. Abel schlief, wie vorher auch, in einem Separée, in Wirklichkeit einem großen Wandschrank im Flur, und hörte sich jeden Abend durch die Sperrholzwand an, wie die Großmutter den Exschwiegersohn verfluchte, die Augen sollen ihm, das Herz soll ihm, bis Mira verbot, ihn überhaupt jemals wieder zu erwähnen, damnatio memoriae, ab da wurde es etwas besser. Das Schuljahr fing an, und Abel lernte Ilia kennen.

    Die Sonne knallte auf den Schulhof, der Appell zum Jahresanfang dauerte Stunden , damals kannte man noch Disziplin, sie standen auf dem Handballfeld in ihren weißen Hemden wie blühende Bäume, und dann, als würden es die Wurzeln an einem windstillen Tag nicht mehr aushalten, fielen sie einfach um. Einer nach dem anderen, knallten auf den betonharten Belag, der aus vielen grau-weißen Teilchen zusammengesetzt war und wie ein magisches Bild flimmerte. Entweder schaute Abel auf diese Teilchen oder er schaute bis zum Schwindligwerden in den Himmel.
    Glaubst du, da oben gibt es was?
    Abel senkte den Blick. Das Gegenüber war kleiner, rundköpfiger, dunkler. Die Hände verschränkte es auf dem Rücken und sah streng drein.
    Was soll das sein, eine Prüfung? Die Antwort weniger freundlich, als sie sein könnte: Und du?
    Der Kleine zuckte mit den Achseln. Wegen der verschränkten Hände kam der ganze Oberkörper in Schwingung.
    Abel dachte an Satelliten, Raumschiffe, Raketen, Bomben, Außerirdische. Sind sie gut oder böse? Wird uns der Müll auf den Kopf fallen? Wird er so groß sein wie eine ganze Stadt oder nur so groß wie ein Auto?
    Was?
    Satelliten, sagte Abel. Aber meistens sieht man nur Flugzeuge.
    Meistens? Der Kleine lachte.
    Wer bist du, altkluges, überhebliches …
    Sein Name war Ilia, und er dachte an Gott. Kleines Missverständnis. Er lachte wieder. Diesmal, klar: über sich selbst.
    Als wäre er gekommen, hätte sich das Angebot angesehen, mit dem Finger auf den einen gezeigt und gesagt: Du. Damit ihn der Rest hinfort nicht mehr zu interessieren brauchte. Abel Nema, ausgewählt aus vierhundertfünfundsechzig Menschenwesen von Ilia Bor. Wie die Stadt. Und Nema. So wie das Nichts?
    Nein, sagte Abel und errötete. Nicht wie das Nichts. Es ist ein …scher Name.
    Verstehe, sagte Ilia. Seine Augen glänzten.

    Seine Mutter war Klavierlehrerin, der Vater Verwalter im Gastspielhaus, fromme, fleißige Menschen, im Wohnzimmer klimperte den ganzen Nachmittag Wiener Klassik, zwei Straßen weiter gab Mira Nachhilfe zwischen Schrankwand und Couch.
    Ilia und Abel verbrachten die Zeit zwischen Schulschluss und Einbruch der Dunkelheit auf der Straße. Das Spiel hieß: Gottesurteile. Ilia hatte es sich ausgedacht.
    Worum es geht, ist, dass mein Vater zu Gott gefunden und trotzdem nicht Priester geworden ist, jetzt ist es an seinem einzigen Sohn, ihn glücklich zu machen. Um Priester zu werden, das ist klar, ist Glauben nicht zwingend nötig. Darum geht es nicht. Wovon er rede, sagte Ilia, sei, ob es ihm je gelingen könne, zu einem wahren Gläubigen zu werden. Er befürchte, dass das nicht möglich sei. Er leide, wie es scheint, an der Krankheit Skepsis, und wenn ich sage: leiden, dann meine ich wirklich: leiden , aber ebenso an der Krankheit Aberglauben. Er hatte sich das Spiel ausgedacht als Lästerung und Flehen in einem. Gib mir ein Zeichen.
    Sie verließen die Schule gegen zwei Uhr nachmittags, gingen durch die Schmale Gasse, über den Salzmarkt in die Judengasse, über den Hauptplatz, durch das Vordere Tor auf den Kleinen Ring. An jeder Straßenkreuzung, Abzweigung etc. blieben sie stehen und gingen nicht eher weiter, als dass ihnen ein Zeichen gegeben wurde. Sage und schreibe fünf Jahre lang wurden sie es nicht müde. Abel ging mit seinem Freund, wohin dieser dachte, geschickt zu werden, durch sämtliche Straßen der Stadt. Abel schwieg die meiste Zeit, Ilia redete: über Gott und sich und eventuell über die Welt. Sie waren stadtweit bekannt als die Grufties , die Intelligenten und die Schwulen . Jemand wollte
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