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Alle sieben Wellen

Titel: Alle sieben Wellen
Autoren: Daniel Glattauer
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sich der Punkt befindet, dort hat sich heute Nachmittag, es muss gegen 16 Uhr gewesen sein, an einem Kaffeehaustisch ein Zwischenfall ereignet. Meine Hand wollte nach einem Glas Wasser greifen. Da kamen ihr die fließenden Finger einer anderen, zarteren Hand entgegen, versuchten zu bremsen, versuchten auszuweichen, versuchten die Kollision zu verhindern. Fastwäre es gelungen. Fast. Die weiche Kuppe eines vorbeischnellenden Fingers kam für einen Bruchteil einer Sekunde auf der Innenfläche meiner zum Wasserglas greifenden Hand zu liegen. Das ergab eine zarte Berührung. Ich habe sie gespeichert. Keiner nimmt sie mir. Ich spüre dich. Ich erkenne dich. Ich erkenne dich wieder. Du bist die Gleiche. Du bist ein und dieselbe. Du bist wirklich. Du bist mein Punkt. Schlaf gut.
     
    Zehn Minuten später
    RE:
    Leo!!! War das schön! Wo lernt man so was? Jetzt brauche ich einen Whiskey. Lass dich nicht stören. Geh ruhig schlafen. Und vergiss den Punkt nicht. Am besten, du machst mit der linken Hand eine Faust um ihn. Dann bleibt er geschützt.
     
    50 Minuten später
    Betreff: Drei Whiskey und ich
    Lieber Leo, wir sind noch eine Weile wach geblieben und haben über dich, den Physischen, geplaudert. (Wir: drei kleine Whiskey und ich.) Dem ersten Whiskey und mir ist aufgefallen, dass du dich in meiner Gegenwart ziemlich abmühst, kontrolliert zu sein, was Worte, Gesten und Blicke betrifft. Das wäre gar nicht notwendig, meinte der erste Whiskey, der mich gut kannte. (Mittlerweile ist er leider ausgetrunken.) Der zweite, inzwischen ebenfalls verblichene Whiskey äußerte den Verdacht, dass du dich längst entschieden hast, mir niemals näher zu kommen als bis in die Mailbox und bis zur Mitte eines hell beleuchteten, von Dutzenden Augenzeugen abgesicherten Kaffeehaustisches. In diesem Rahmen sei unsere Unterhaltung diesmal erfreulich warm, herzlich, echt, persönlich, nahezu innig und sogar eine halbe Stunde länger als geplant gewesen, meinte der zweite Whiskey. Es bestünden gute Chancen, dass wir diese Art von Sonntagsbegegnungen im Café bis ins Pensionsalter durchhalten, um dann gemeinsam Patiencen zu legen oder gar eine Tarockrunde aufzustellen,sofern unsere Partner da mitspielen. (»Pam« ist sicher ein Naturtalent.)
    Nun, der dritte, schon ein wenig schlüpfrige Whiskey hat sich die Frage gestellt, wie es um deine körperlichen Gefühle bestellt ist. (Der Whiskey nannte sie hochtrabend »Libido«. Ich erwiderte, so viel müsste es gar nicht sein.) Von mir wollte er wissen, ob ich glaubte, dass es tatsächlich sein kann, dass du mich erst ab ungefähr 3,8 Bordeaux-Promille anziehend findest. Bei Kaffee und Wasser ließest du nämlich jegliches Interesse an meinem Äußeren vermissen. Ich erwiderte: »Whiskey, da irrst du bestimmt. Leo ist so ein Mann, der sämtliche seiner Gefühle, wie stark und welcher Art sie auch sind, auf einen einzigen Punkt in der Mitte seiner Handinnenfläche konzentrieren kann. Er ist jedenfalls ein Mann, der niemals auf die Idee kommen würde, einer Frau, die ihm gefällt, den Anschein zu geben, sie gefiele ihm, oder ihr gar ins Gesicht zu sagen: Du gefällst mir! Das wäre ihm viel zu plump.« Darauf erwiderte der dritte Whiskey: »Zu Pamela hat er das bestimmt schon tausendmal gesagt.« Weißt du, was ich mit dem dritten Whiskey daraufhin gemacht habe, lieber Leo? Ich habe ihn vernichtet. Und jetzt geh ich schlafen. Guten Morgen!
     
    Am nächsten Morgen
    Betreff: Also Emmi!
    Wie hattest du am Tag nach unserem ersten Treffen geschrieben? Ich zitiere: »›Danke, Emmi‹, war schwach, lieber Leo. Sehr schwach. Weit unter deinen Möglichkeiten.«
    Und wie hast du dich gestern Nacht bezüglich unseres zweiten Treffens ausgedrückt? Ich zitiere: »Bei Kaffee und Wasser ließest du nämlich jegliches Interesse an meinem Äußeren vermissen.« – Das war schwach, liebe Emmi. Sehr schwach. Weit unter deinen Möglichkeiten.
     
    Drei Stunden später
    RE:
    Tut mir leid, Leo. Du hast Recht, der Satz klingt bescheuert. Hättest du ihn geschrieben, wäre ich über dich hergefallen. Die gesamte E-Mail ist peinlich. Eitel. Angerührt. Anbiedernd. Zickig. Iiiiiiih! Aber bitte glaube mir: DAS WAR NICHT ICH, DAS WAREN DREI WHISKEY! Ich hab Kopfweh. Ich leg mich wieder hin. Tschüss!
     
    Am nächsten Abend
    Betreff: Bernhard
    Tut mir leid, Emmi. Ich muss dich noch einmal an deinen (und deines Whiskeys) Worten messen. Und so frage ich dich, ernst und humorlos, wie es meinem Naturell entspricht: Warum soll ich
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