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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern
Autoren: Luise F Pusch
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hasse !« ) (S. 120)

    Julia wundert sich auch, daß Winston seine lästige und dumme Ehefrau Katherine noch immer nicht umgebracht hat:

    »Warum hast du ihr nicht einen tüchtigen Stoß versetzt ?« sagte Julia. »Ich hätte es getan .« [Gemeint ist ein Stoß in den Abgrund.] (S. 125)

    Julias Frauenhaß ist im übrigen mit dem Orwells ziemlich identisch, wie ein paar Beschreibungen von Frauen belegen mögen: Winston über seine Frau:

    Sie hatte [...] ein Gesicht, das man versucht war, ideal zu nennen, bis man herausfand, daß so gut wie nichts dahintersteckte. Schon sehr bald während seiner Ehe war er zu der Ansicht gelangt [...], daß sie geistig das dümmste, gewöhnlichste und leerste Wesen war, dem er je begegnet war. Sie hatte keinen Gedanken im Kopf, der nicht ein Schlagwort gewesen wäre, und es gab keinen Blödsinn, aber auch keinen einzigen, den sie nicht gefressen hätte, wenn die Partei ihn ihr auftischte. Er gab ihr im stillen den Spitznamen »Die alte Platte«. (S. 63)

    Winston gewinnt einen Eindruck von den Proles-Weibern:

    [...] sah er einen Pöbelhaufen von zwei- oder dreihundert Weibern sich mit tragischen Mienen, als seien sie die dem Untergang geweihten Passagiere eines sinkenden Schiffes, um die Verkaufsstände eines Straßenmarktes drängen. [Sie streiten sich um Blechpfannen.] [...] Ein erneutes Geschrei brach aus. Zwei aufgedunsene Frauenspersonen, von denen der einen die Frisur aufging, hielten dieselbe Blechpfanne fest und versuchten, sie einander aus der Pfand zu reißen. [...] Winston beobachtete sie angeekelt. (S. 66f.)
    Wie er die Frau in ihrer charakteristischen Haltung betrachtete, ihre dicken Arme zur Wäscheleine emporgehoben, während ihre mächtigen, an eine Stute erinnernden Hinterbacken sich wölbten, kam es ihm zum erstenmal zum Bewußtsein, daß sie schön war. Es war ihm nie vorher in den Sinn gekommen, der Körper einer fünfzigjährigen Frau, der durch Geburten zu monströsen Ausmaßen gedunsen und dann durch Arbeit vergröbert und verhärtet war, bis seine grobe Haut der Schale einer überreifen Rübe ähnelte, könnte schön sein. (S. 202)

    Orwell zeichnet auch seine männlichen Helden nicht gerade liebevoll, auch sie sind bisweilen von monströser Dummheit und Häßlichkeit, zugegeben. Aber es fällt auf, daß nur Männer Geist besitzen. Natürlich gibt es auch viele entsetzlich dumme Männer. Wenn aber bei Orwell jemand intelligent ist, dann ist es ein Mann. Selbst die patente Julia ist doch höchstens »eine Revolutionärin von der Taille abwärts« (S. 144). Als Winston mit ihr zusammen »das Buch« lesen will, sagt sie: »Lies du es. Lies es laut vor. Das ist die beste Methode. Dann kannst du es mir gleich dabei erklären .« (S. 185)
    Fazit: Die alte patriarchalische Dichotomie Mann = Geist, Frau = Körper/Sex gehört für Orwell zu den Selbstverständlichkeiten seines Weltbilds und wird deshalb nicht thematisiert, sondern vorausgesetzt. Orwells zentrales Thema ist die Unterjochung, ja Auslöschung des menschlichen Geistes, der menschlichen Vernunft mittels sadistischer totalitärer Methoden — und dieses Geschäft ist im wesentlichen ein Geschäft unter Männern. Denn nach Orwells Verständnis wie nach allgemein patriarchalischem Verständnis ist menschlicher Geist gleich männlicher Geist.

3.2 Warum die Partei ein Großer Bruder ist und das Proletariat eine Frau

    Die Partei in 1984 wird symbolisiert nicht durch eine »Große Schwester«, sondern durch den Großen Bruder, und sie besteht überwiegend aus männlichen Mitgliedern. Dieser Aspekt wird zwar von Orwell nicht thematisiert, fällt aber dem feministisch geschulten Blick sofort auf. In der »äußeren Partei«, der auch Winston und Julia zugehören, sind ein paar Frauen zu finden, nicht jedoch in der »eigentlichen«, der Inneren Partei. Lebenszweck und -philosophie der Partei und ihrer Mitglieder ist die Macht: »[...] uns interessiert einzig und allein die Macht als solche«, »Der Zweck der Macht ist die Macht« (S. 242). Und: »Die Macht besteht darin, Schmerz und Demütigungen zufügen zu können« (S. 245).
    Diese Kernsätze des Buches werden einem Mann (Winston) von einem Mann (O’Brien) verkündet. Diejenigen, die in 1984 die Macht ausüben, indem sie »Schmerz und Demütigungen zufügen«, sind ausschließlich: Männer. Das Personal des »Ministeriums für Liebe«, wie das Polizei- und Folterministerium sich zu nennen beliebt, ist, von den untersten Chargen bis zu den obersten Rängen,
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