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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees
Autoren: Angelika Overath
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mit schwarzen, kurzen Haaren, stieg aus und gab uns die Hand. Steigt ein, sagte sie und dann fuhr sie uns, als ließe sie sich von den Kurven beschleunigen, nach Sent hinauf.
    Wir hielten in der Dorfmitte hinter dem Hotel Rezia. Das Haus war häßlich. Rauher, auberginefarbener Putz, blaue, abbröckelnde Fensterläden. Wie ein Balkon hing schief ein selbstgebauter Hasenstall auf mittlerer Höhe. »Furnaria«, das romanische Wort für Bäckerei, stand blaß über einer kleinen Holztür. Wir gingen um das Haus herum. Mina öffnete das Eingangsportal. Wir betraten ein Gewirr von Treppen und Kammern auf mehreren Stockwerken. Mir war schwindelig. Wir folgten Mina hinauf und hinüber. Mina öffnete eine Tür und vor uns lag ein riesiger, leerer Heustall, durch die Ritzen flimmerte das Sonnenlicht. Die Holzböden gaben nach. Offensichtlich war darunter ein Viehstall. Wir gingen zurück, eine Treppe hinauf. Wir kamen in eine Stube, deren Wände außen aus übereinandergelegten rohen, runden Holzbalken bestanden, wie eine Skihütte. Innen
war sie mit Brettern verkleidet und mit Ölfarbe in Türkis gestrichen. Unten dann eine kleine Küche mit gewölbter Decke und einer Stange, an der einmal Fleisch geräuchert worden war, daneben eine einfache Arvenstube mit einem gemauerten Ofen. Mina öffnete die Tür in der Gitterholzverschalung, und wir sahen, daß der Ofen begehbar war. Engadiner Tritt, sagte sie und zeigte auf drei kleine Stufen, die hinaufführten. Sie öffnete eine Klappe, durch die man nun nach oben in die türkisfarbene Skihütte hineinsah. Die Skihütte, verstanden wir, war die ehemalige Schlafkammer, die über den Ofen in der Arvenstube geheizt wurde. Beide Räume waren ursprünglich nur über die Holzstufen und die Klappe miteinander verbunden. Wir gingen wieder hinunter und weitere Treppen tiefer. Zwischen altem Gerümpel sah man die gußeisernen Türen einer wandgroßen, verkachelten Ofenanlage mit dem metallenen Schriftzug »Amicus«. Hier wurde einmal Brot für das Dorf gebacken.
     
    Ich weiß nicht mehr, ob es hier war oder beim Blick in den Heustall oder in der Arvenstube, jedenfalls wußten wir, daß diese fremden Räume etwas mit uns zu tun hatten.
    Es gibt außer euch keine Interessenten, sagte Mina. Schade, sagten wir. Sehr schade. Nehmt das Haus ganz, sagte Mina. So viel Geld haben wir nicht, sagten wir. Da sagte Mina: Doch.

     
    Mina war befreundet mit einem Architekten, der auch die Überbauungszeichnung auf dem kopierten Zettel gemacht hatte. Wir trafen Jachen in seinem Büro in Scuol. Er trug eine alte Strickjacke. Seine Haare waren wirr. Er lachte uns an. Wir sagten, wie viel Geld wir hatten. Er sagte, vergeßt die zweite Haushälfte. Wir nickten.
     
    Das Haus war ein gassenbildendes traditionelles Engadiner Bauernhaus, die unregelmäßige Fensteranordnung wies auf einen Bau aus dem 17. Jahrhundert hin, der später aufgestockt worden war. Hier hatten Menschen und Vieh unter einem Dach gelebt. Das Haus verband Schlaf- und Wohnräume (gegen Norden) mit unterirdischen Tierställen und, darüber, einem riesigen Heuspeicher (gegen Süden, damit das Heu besser trocknete). Durch eine große Bogentür fuhr der Heuwagen in den hohen Hausflur, den Piertan, direkt bis in den Stall. Traditionell öffneten sich vom Piertan aus die Arvenstube mit dem Ofen, die Küche und die Vorratskammer. Da in unserem Haus aber noch eine Backstube Platz gefunden hatte, lagen diese Wohnräume eine halbe Treppe höher. Der Plan entstand, eine Wohnung, und zwar in diesem älteren östlichen Hausteil (Arvenstube, Küche, türkisene Schlafstube, Dachstuhl) für uns als Ferienwohnung umzubauen. Der westliche, kleinere Hausteil würde unberührt bleiben. Die Grundregel sollte sein: alles lassen, was man lassen kann. Nur dort erneuern, wo es notwendig war. Von den soliden Materialien die
einfachsten nehmen: Holz und Glas. Wir sind freie Autoren, sagte ich. Es darf nicht mehr kosten, als wir haben. Der Architekt nickte.
     
    Wir waren freie Autoren. Wir hatten drei Kinder. Manfred war frisch habilitiert und hatte in Tübingen eine Professur vertreten, die aus Spargründen nicht weiter vertreten werden durfte; ich schrieb Reportagen, Rezensionen, Radiosendungen, ohne feste Anstellung.
    Es gab noch ein juristisches Problem. Wir waren Ausländer und konnten in der Schweiz kein ganzes Haus kaufen. Ich kenne einen Rechtsanwalt in Zuoz, sagte Mina und strahlte uns an. Die Sache sollte zu klären sein, vielleicht über einen
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