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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees
Autoren: Angelika Overath
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schon verstanden, aber wir konnten es unmöglich erklären, auf deutsch oder auf schweizerdeutsch. Also sind wir gerannt.
    Es war schön damals. Im Sommer waren wir bis um zehn Uhr abends draußen. Die Alten saßen auf den Bänken, und wir haben gespielt, Pingpong, Ball, so halt. Es gab ja kein Fernsehen, also wir waren draußen. Und sonntags gab es 20 Rappen und da sind wir Eis kaufen
gegangen. Hier im Haus, da war mein Großvater Bäcker, und dann hat das der Bruder meines Vaters übernommen. Und der hatte eine Gefriertruhe. Mit Eis. Und sonntags, da standen hier Schlangen vor dem Haus, um ein Uhr, nach dem Mittagessen, gab es Eis.
    Welche Sorten?
    Das kann ich dir nicht mehr sagen, aber in solchen Hörnchen.
    Was hat dein Vater gemacht?
    Der Bruder hat studieren dürfen, Tierarzt, und der andere hat die Bäckerei übernommen. Und mein Vater war sehr intelligent, aber es war nicht genug Geld da, um alle studieren zu lassen, also hat er Lastwagenfahrer gelernt. Das war ein bißchen schade.
    Mengia, einmal war ich bei dir eingeladen, zum Pizzaessen. Weißt du noch? Und da war auch eine ältere Frau, die hat erzählt, daß man sich einmal im Jahr, und zwar an Chalandamarz, die Haare gewaschen hat. Ich glaube nicht, daß das stimmt.
    Doch, das stimmt. Weißt du: Chalandamarz! Da mußten die Mädchen schön sein. Da wollten wir tanzen am Abend. Und da haben wir die Haare gewaschen und auch gebadet. Also gewaschen haben wir uns schon immer, aber gebadet nicht. In so einem Zuber. Und es gab nicht für jeden frisches Wasser.
    Aber Mengia: Haare waschen, einmal im Jahr!
    Wir hatten keine fettigen Haare. Das glaubst du! Wir trugen Zöpfe. Es war nicht nötig, die Haare so oft zu waschen. Man sagte auch, so viel Wasser sei nicht gut
für die Haare. Manchmal kam die Mutter mit ein wenig Watte, die sie in Spiritus getunkt hat, und hat uns über die Haare gewischt.
    Wir hatten nicht viel Geld damals. Wir waren alle gleich. Also gut, die einen hatten ein bißchen mehr, aber im Grunde waren wir alle gleich. Das war gut.
    Und die Randulins? Wenn sie kamen, hattet ihr Kontakt zu ihnen?
    Ja schon. Ich war oft neidisch. Da saßen sie im Garten vom Rezia und tranken Kaffee und wir mußten Heuen gehen. Die mußten nie arbeiten. Und dann nahmen sie sich die Mädchen, die gerade mit der Schule fertig waren. Die mußten dann in ihren Häusern arbeiten. Ich glaube, sie wurden ausgenutzt. Sie durften auch nicht am Tisch mitessen, sondern mußten abseits in der Küche essen. Ich habe das nie gemacht, aber ich weiß es von Freundinnen. Und in den Geschäften haben sie gehandelt. Sie kauften so ein kleines Stück Käse und haben gehandelt. Ich mochte das nicht. Später war es dann wieder anders. Da hatten sie dann auch nicht mehr so viel Geld.
     
    Wenn du dir etwas wünschen dürftest für Sent, was wäre es?
    Oh, ich würde mir schon etwas wünschen für Sent! Ich würde mir wünschen, daß nicht alles verbaut wird. Daß es nicht so wird wie im Oberengadin. Und unsere Traumpiste, die soll auch nicht mit dem Samnaun verbunden werden. Das muß nicht sein. Natürlich muß
ein Dorf leben. Die Jungen brauchen Arbeit hier. Wenn sie hier nicht mehr leben können, weil sie hier keine Arbeit finden, dann ist das auch nicht gut fürs Dorf. Dann leben hier nur noch die Alten. Man muß einen Mittelweg finden.
    Es gibt noch leer stehende Häuser im Dorf, die man ausbauen könnte, oder auch Heuställe, wo es Platz für Wohnungen gäbe?
    Ja, es gibt alte Häuser, die leer stehen.
     
    Mengia hat mir die Haare geschnitten. Seit ich in Sent wohne, schneidet mir Mengia die Haare und erzählt.

Nachwort: Wie es zu diesem Buch kam
    Ende Juli 2007 zogen mein Mann, Manfred Koch, unser jüngstes Kind Matthias und ich von der Universitätsstadt Tübingen in die Berggemeinde Sent im Unterengadin. Mitte August kam Matthias, damals 7 Jahre alt, in die zweite Klasse der Senter Grundschule, Unterrichtssprache Rätoromanisch. Unsere beiden älteren Kinder blieben in Deutschland; Silvia (Jahrgang 1986) studierte schon, Andreas (Jahrgang 1988) begann mit dem Ersatzdienst.
    Im Winter 2007 plante die Zeitschrift »Piz. Magazin für das Engadin und die Bündner Südtäler« eine Ausgabe zum Thema »Hinter den Kulissen«, und ich sollte erzählen, wie es ist, wenn aus einer Ferienfamilie Dorfbewohner werden. Aufgrund dieses Textes (erschienen im Sommer 2008) entstand in der Programm-Abteilung des Luchterhand Verlags die Idee für ein Buch. Viele Menschen, sagte mein Lektor
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