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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees
Autoren: Angelika Overath
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Pachtvertrag.
     
    Der Winter kam, und wir fuhren in den Ferien wieder nach Scuol. Wir stellten Matthias mit knapp drei Jahren auf Skier. Genaugenommen nahmen Silvia und ich ihn abwechselnd zwischen die Beine. Er jauchzte, je schneller wir fuhren; wir massierten hinterher unser Kreuz. Wie viele Male seit dem Freundestreffen in Scuol begleitete uns unsere alte Freundin Ute. Sie ist die katholische Patentante unserer nicht getauften Söhne. In Stuttgart leitet sie das Stefan George Archiv. An einem der ersten Tage, es war sonnig, der Himmel blau, zog sich Ute, die nicht Ski fährt (»Man soll keine Leibesübungen machen, wo Gottes eisiger Odem weht«), ihre Baskenmütze auf und wanderte durch die verschneite Landschaft hinauf nach Sent. Als sie zurückkam - wir
saßen gerade beim Vesper in der Küche einer Ferienwohnung, an deren Wänden dicht an dicht 37 hornige Geweihe, Jagdtrophäen hingen, die wir mit Strohsternen geschmückt hatten -, starrte sie uns an, als käme sie aus einer anderen Welt. Ihr Gesicht war aschfahl. Sie hatte das Haus gesehen.
    Seid ihr sicher, fragte sie tonlos. Seid ihr sicher, daß ihr das machen wollt? Ute war Erbin ihres Elternhauses, sie wußte, was es bedeutet, ein altes Haus zu übernehmen. Außerdem kannte sie uns. Wir sind handwerklich nicht begabt, um es vorsichtig zu sagen.
     
    Wir kauften das Haus mit einem Nicken, einem Ja. Das Wort galt. Als im Sommer 2003 mit den Umbauarbeiten begonnen wurde, gehörte das Haus rechtlich noch nicht uns. Jachen und sein junger, ernster Kollege Rico hatten die Bauleitung übernommen. Sie erteilten den einheimischen Handwerkern die Aufträge. Wir vertrauten. Ab und an fuhren wir von Tübingen für ein paar Stunden nach Sent, um zu sehen, welche Fortschritte der Umbau machte. Im Auto hörten wir Vivaldi, Vier Jahreszeiten; Matthias liebte den Winter.
    Manchmal schickte Rico Photos per Mail. Alles ging unwahrscheinlich gut.
     
    Wir haben Welpenschutz, sagte ich zu Manfred. Wir hatten jetzt auch einen Hund, und ich hatte neue Wörter gelernt.

     
    Einmal sagte Jachen, wir bauen in Scuol ein Haus für einen Manager um. Das, was dessen Küche kostet, kostet euer ganzer Umbau. Ich wußte, er übertrieb. Aber nur knapp.

17. September
    Die Schwalben stürzen. Wie lange noch? Bald kommen die Bergdohlen. Im Sommer leben sie in großen Höhen; im Winter kehren sie in die Dörfer zurück.
    13.20 Uhr. Die Mittagsschulglocke läutet. Ich sehe das metallene Schwingen im offenen Glockenturm. Matthias ist schon unterwegs zum Nachmittagsunterricht.
     
    Es gab eine Wette zwischen Manfred und mir. Manfred sagte, nach dem Abriß des Stalls sieht man den Kirchturm. Ich sagte, das ist unmöglich, das Haus liegt zu tief. Und dann standen wir einmal vor der abgebrochenen Stallwand, an der nun eine Fensterfront entstehen sollte. Die Maueröffnung war mit Planen abgehängt. Ein Windstoß löste eine Folie, sie wehte kurz auf, und für eine Sekunde zeigte sich wie ein Wink die neugotische Nadelspitze der Senter Kirche.
     
    Mitte September 2003 fuhren wir in Minas offenem Cabriolet nach Zuoz. Da das alte Bauernhaus im Dorfzentrum drei Jahre leer gestanden und sich kein Schweizer Käufer gefunden hatte, durften wir es als
Ausländer kaufen. Mina und Manfred unterschrieben den Vertrag. Als Ehefrau mußte ich meinen Beruf angeben. Ich war nicht darauf gefaßt gewesen und dachte, so ein unwahrscheinliches Haus hat einen unwahrscheinlichen Beruf verdient. Dann sagte ich zum ersten Mal: Schriftstellerin.
    An Manfreds Geburtstag im Dezember, die Skisaison hatte gerade begonnen, feierten wir die Einweihung unserer Ferienwohnung.
     
    Bereits im Januar 2004 vermieteten wir die Räume an Feriengäste. Anders war das Projekt nicht zu finanzieren.
    Wir lernten, daß sich für die Wohnung sehr leicht Mieter fanden. Wir dachten an die zweite Haushälfte. Wir sprachen mit den Architekten. Wir nahmen eine Hypothek auf und ließen nun auch die andere Haushälfte umbauen. Es ging sehr schnell. Die Schreiner waren großartig. Im Herbst 2005 war nun auch der westliche Hausteil renoviert. Die Bäckerei hatte einen Holzboden und, wie auch der große Flur, einen weißen Wandanstrich bekommen. Wir standen in den hellen Räumen. Wir rochen das Arvenholz. Und dann gingen Manfred und ich mit dem Hund in die Wiesen hinaus und Manfred sagte: Ja, das können wir machen.
     
    Wir wollten Dorfbewohner werden; aber was sagte das Dorf dazu? Wir fragten Mina und Mengia. Sollen wir nach Sent ziehen? Die
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