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Alle Farben der Welt - Roman

Alle Farben der Welt - Roman

Titel: Alle Farben der Welt - Roman
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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herauskommen, nie mehr. Ich stecke dort fest. Meine Kehle brennt. Meine Arme sind ein Schildkrötenpanzer. Ich fühle mich in der Falle. Ich atme nicht.
    Ich atme nicht mehr.

    Monsieur De Goos hatte ein Testament gemacht. Er hinterließ alles Icarus Broot – das Haus, etwa einhundert Hektar Land und eine größere Geldsumme auf einer Bank in der Hauptstadt.
    Icarus organisierte das Gut neu, um den mittellosen Bergleuten Arbeit zu geben. Er investierte die Ersparnisse der Familie De Goos, machte Schulden bei den Wucherern und traf Absprachen mit den alten Bauern. Die Lage war äußerst schwierig. Das Land warf wenig ab, weil der Rauch aus der Kohlengrube die Felder vergiftet hatte, die Äpfel waren klein, der Weizen verdorrt.
    Icarus war so sehr mit anderen Dingen beschäftigt, dass er sich kaum um mich kümmerte. Doch ich bin mir sicher, dass er gar nicht die Möglichkeit hatte, mich bei sich zu behalten. Ich war dreizehn, und es schickte sich nicht für mich, allein mit einem so jungen Mann zusammenzuleben.
    Also musste ich gehen.
    Ich brauchte eine neue Bleibe.
    Doktor Shepper dachte lange darüber nach, wohin er mich schicken sollte. In ein Internat in der Stadt? Niemand hätte den monatlichen Betrag dafür aufbringen können. In ein Kloster? Dafür war ich nicht geschaffen. Eine neue Pflegefamilie war wohl das Beste, bis zu meiner Volljährigkeit oder meiner Hochzeit. Eine gute Partie, ein Haus, Kinder. War es nicht das, was auch ich damals wollte?
    Es gab keine bessere Lösung als die Familie Vanheim, die im Zentrum von Geel wohnte, im schönsten Haus des Ortes, ein Ehepaar mit drei kleinen Kindern – Jan, Jos und Jen – und mit einem verunstalteten Verrückten, Frank dem Italiener.
    »Kommst du mich mal besuchen, Teresa?« Das war alles, was Icarus zu mir sagte.
    »Ja, ich werde oft kommen. Und du?«
    »Ich komme ins Dorf, sooft die Arbeit es zulässt.« Das war das einzige Versprechen, das er mir gab, doch gehalten hat er es nicht.
    Erinnern Sie sich noch an Geel, Monsieur van Gogh?
    Erinnern Sie sich noch, wie viele Verrückte es dort gab?
    Ihnen machte dieser Ort Angst.
    Die Familie Vanheim war sehr wohlhabend. Monsieur Hans verbrachte mehrere Monate im Jahr im Ausland. Er fuhr nach Südafrika, um Diamanten für die Juweliergeschäfte auszusuchen, oder nach London, um über Versicherungsanleihen zu verhandeln. Madame Emma war pragmatisch veranlagt und hing sehr am Geld. Sie gab keinen Gulden zu viel aus. Es bereitete ihr ein sonderbares Vergnügen, die Münzen zu zählen, sie zu vermehren und durch die Finger rieseln zu lassen. Aus Brüssel erhielt sie bereits neunzig Francs im Monat, weil Frank bei ihnen wohnte – die Unterstützung, die der Staat jedem nourricier zahlte –, und betrachtete das als ein gutes Geschäft, kosteten Verpflegung und Unterkunft sie doch weit weniger.
    So stellte sie eine Bedingung, als Doktor Shepper sie bat, mich in ihre Obhut zu nehmen: »Warum erklären Sie sie nicht einfach für verrückt? Für mich wären das neunzig Francs zusätzlich. Mit diesem Geld könnte ich sie ernähren, die Reparatur des Daches bezahlen, das über ihrem künftigen Zimmer undicht ist, und ich könnte gut die Hälfte oder wenigstens ein Drittel als Mitgift für sie zur Seite legen.«
    Doktor Shepper wusste, dass es Betrug war, wenn sie auch nur einen kleinen Betrag dieses Geldes für sich abzweigte, denn ich würde ihr eine große Hilfe sein. Trotzdem hielt er den Vorschlag für vernünftig. Der Inspektor war kein Mann, der lange fackelte, und so ließ er sich von seinem Geschäftssinn leiten.
    Schließlich hatte ich eine Explosion miterlebt, da war es nicht schwer, Krämpfe und Sprechstörungen bei mir zu diagnostizieren. Und litt ich nicht hin und wieder auch an Schwermut und Angst ? Shepper dachte nach. Welche Ursachen für Wahnsinn könnten mich außerdem quälen, von denen, die sich zuhauf in den medizinischen Gutachten fanden? Zerrüttete Familienverhältnisse ? Enttäuschter Ehrgeiz ? Ekstatische Frömmigkeit ? Unerwiderte Liebe ? Als kleinem Mädchen hatte es mir gewiss nicht an religiösem Eifer gemangelt.
    Dieser Trick würde es mir gestatten, nicht mittellos heiraten zu müssen, sondern über eine Mitgift und eine Aussteuer zu verfügen. Ich wäre eine gute Partie. Es handelte sich ja lediglich um eine vorübergehende Maßnahme, und so willigte ich ein.
    Doktor Shepper machte die Papiere fertig und schickte sie nach Brüssel. Einen Monat später kam der erste Kreditbrief für die
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