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Alle Farben der Welt - Roman

Alle Farben der Welt - Roman

Titel: Alle Farben der Welt - Roman
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Durch sie wird sie wunderbar und auch ein wenig traurig.

    Ich wuchs heran, war inzwischen fünfzehn Jahre alt geworden.
    Männer und Frauen waren bei uns stets getrennt. In der Kirche, auf der Straße, in den Geschäften. Es schickte sich nicht, miteinander zu reden, doch diese Vorsichtsmaßnahme reichte nicht aus. Das Dorf war klein, es genügte, aus dem Haus zu gehen, um sich zu begegnen, sich flüchtig zu berühren, sich verschwörerische oder verlegene Blicke zuzuwerfen. Die Männer standen oft unter den Vordächern der Läden beieinander, wenn wir vorübergingen. Sie waren ein wenig unheimlich, so alle zusammen. Manche hatten gutmütige Augen, doch die meisten nicht. Sie pfiffen, luden uns aufs Feld ein und sagten, wir würden unseren Spaß mit ihnen haben. Manchmal ging eine mit ihnen mit, ich nicht. Auch Joëlle nicht.
    Joëlle war meine beste Freundin. Wir waren nur ein Jahr in Geel zusammen, dann schickten ihre Eltern sie auf ein Internat in der Stadt. Pausbäckig und lustig war sie, Joëlle.
    Und sie war es, die mich in die Geheimnisse der Frauen einweihte.
    Sie riet mir, meine Wangen mit Rouge zu schminken, meine Fingernägel mit Seife zu bürsten und meine Haube zurückzuschieben, damit mein Haar zur Geltung kam. Sie zeigte mir, auf eine bestimmte Art zu gehen, den Rücken gerade zu halten und die Füße zusammen und »etwas Bein« zu zeigen. Sie zog mich mit meiner Schüchternheit auf und sagte, nur ein Mann könne sie mir abgewöhnen. Sie erklärte, ich solle »mir Mühe geben« – genau diese Worte verwendete sie –, wenn ich nicht mein Leben lang eine Dienstmagd der Vanheims bleiben wollte und dann der Kinder der Vanheims und dann der Kinder der Kinder der Vanheims. Sie fragte mich, ob wir uns zusammen ausziehen wollten, um zu sehen, wie wir gebaut sind, und unsere Körper zu vergleichen. Doch ich schämte mich, weil sie schöner war als ich, schon weiter entwickelt, und deshalb lief ich davon. Sie lachte nur. Wir mochten uns gern.
    Joëlle war es auch, die mir erzählte, man sei erst dann eine Frau, wenn Blut aus der Öffnung käme, aus der auch die Kinder geboren werden, und erst wenn das Blut da sei, könnten auch Kinder kommen. Mich beunruhigte das sehr, ich wollte kein Blut an meinen Kindern, und ich begriff, dass es genau wie bei Icarus’ Kühen, Schafen und Hündinnen war.
    Eines Tages kam Joëlle zu mir gerannt und warf sich in meine Arme. Auch bei ihr war es gekommen, das Blut. Sie erzählte, dass sie sich erschrocken habe, es sei, als sage der Körper, dass er nicht ausschließlich dir gehört, dass du auch ihm gehörst, wie ein Kornfeld, auf dem es hin und wieder regnen muss und auf dem die Pflanzen wurzeln, wie sie wollen.
    Aber bei mir kam es nicht.
    Ich blieb schmächtig. Ich hatte kaum Busen, schmale Hüften und breite Schultern.
    Und doch wurde auch ich allmählich eine Frau. Ich nahm meinen Körper anders wahr als früher. Plötzlich kam er mir vollkommen verändert vor, geradezu fremd. Meine Hände und Füße wuchsen, meine Stimme wurde tiefer, ich schwitzte, und ich bemerkte Dinge, in der Art, wie die Männer sich bewegten, Dinge, die mir früher nicht aufgefallen waren. Dieses Gefühl faszinierte und entsetzte mich zugleich.
    Ich gefiel den Männern, das weiß ich sicher. Ich verstand nichts von ihren Vorlieben, doch bestimmte Blicke erkannte ich, sie konnten mich nicht täuschen. Und ich zeigte mich ihren Blicken gern. Ich hatte ein breites Gesicht und pechschwarzes Haar, ich war kräftig und mein Blick gewitzt. Wenn die Männer mich anstarrten, starrte ich zurück, bis sie den Blick senkten. Wenn einer meinem Blick aber standhielt und wir uns beide anstarrten, lächelte ich.
    Und immer hoffte ich, dass ein Veloziped am Dorfeingang auftauchte und mich mitnahm.
    Die Erinnerungen jagen sich, summieren sich, überlagern sich. Sie spielen mit mir. Machen sich über mich lustig. Sie werden klarer, strafen sich Lügen, widersprechen sich, und dann plötzlich werden sie bedrohlich. Sie erzählen haarklein alles, was nicht aus uns geworden ist. Und dann wieder trösten sie uns, nehmen etwas von dem Schmerz fort und vergessen mit uns. Sie geben uns recht.
    Ich habe hier viel zu viel Zeit, mich zu erinnern.

    Frank starb schnell.
    Ich war es, die seinen Leichnam fand. Wieder so ein unauslöschliches Bild. Es war Nacht, und ich hörte ein Geräusch, einen harten Schlag. Ich schreckte aus dem Schlaf, riss die Augen auf, lief zur Treppe, stürzte nach unten, machte einen Heidenlärm und
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