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Alle auf Anfang - Roman

Alle auf Anfang - Roman

Titel: Alle auf Anfang - Roman
Autoren: Sabine Zaplin
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liebt die Vorstellung, Figur in einem der Stücke zu sein, die dessen Bilder für ihn sind.
    Er zieht den Schlüssel ab und steigt aus. Die Nachtluft ist warm, es riecht nach Sommer. Sofort fällt Anselm in seinen Sommernachtsgang. Er schlendert zum Eingang hinüber, zieht die Tür auf und verschafft sich mit drei festen Schritten einen Auftritt. Am Tresen, dort, wo ein paar leere Barhocker warten, bleibt er stehen, abwartend, lässt es offen, ob er sich setzen wird.
    Einer der beiden Angestellten hebt den Kopf.
    »He, Bela, Kundschaft«, wirft er dem anderen hin. Der sieht Anselm abwartend an.
    »Espresso«, bestellt Anselm und sieht zu, wie der andere Kaffeebohnen einfüllt, wie er eine Tasse aus dem Regal fischt, ein Tuch nimmt und die Tasse innen auswischt. Kroate, vermutet Anselm, Albaner vielleicht. Ungar? Wohl kaum. Trotz seines Namens kann Anselm nichts Musikalisches an Belas Auftreten erkennen.
    Krachend zermalmt das Mahlwerk die Bohnen, zischend fährt der Wasserdampf hinein, dann läuft der nachtschwarze Espresso gleichmäßig aus zwei Düsen in die Tasse. Beinahe andächtig sehen Bela und Anselm dabei zu. Als Bela ihm die Tasse hinstellt, schiebt Anselm sich auf den äußersten Barhocker. Schweigend rührt er Zucker in den Espresso, schweigend beginnt Bela, weitere Tassen zu polieren. Eine Zeit lang gefällt sich Anselm in dieser Rolle, kurz ist er versucht, ein Glas Whisky zu bestellen. Doch dann sieht er Claudia und sich selbst, in ihren Augen: einer, der es geschafft hat. Was haben sie gelacht, eben beim Wein. Der Kellner sieht von seinen Tassen hoch.
    »Sie müssen noch weit?«, fragt er.
    Seine Stimme hört sich an, als müsse er sich dringend einmal räuspern. Ein unbestimmter Akzent klingt mit.
    Anselm fasst ihn ins Auge. Er wirkt unterbeschäftigt. Vermutlich sind die Trucker bereits vor Längerem in ihre Kojen gekrochen. Er nickt.
    »Wann sind Sie los?«, fragt Bela.
    »Vor zwanzig Jahren.« Anselm lacht auf, als er Belas erschrockenes Gesicht sieht.
    »Lange Reise«, sagt der und schwingt sich das Tuch über die Schulter. Anselm rührt in seiner leeren Tasse.
    »Gab ein paar Umwege.«
    »Und jetzt?«
    »Dauert’s wohl nicht noch mal so lange. Obwohl …«
    Eben noch hat er Claudia einfach nachfahren wollen. Hat sich auf die Spur ihres Atems gesetzt.
    »Eine Frau?«, fragt Bela.
    Kurz kreuzen sich ihre Blicke. Ohne dass Anselm nickt, sagt Bela: »Verstehe.«
    Jetzt betrachtet Anselm ihn doch genauer. Sieht den kleinen, fast mageren Mann mit dem schütteren Haar, dessen Grau das einst wilde Schwarz noch anzusehen ist. Ein paar Jahre älter als er selber, schätzt Anselm, Ende fünfzig wohl. Vielleicht sieht er aber auch älter aus, als er tatsächlich ist.
    »Und du?«, fragt er und bereut im selben Moment, in die herabsetzende vertrauliche Anrede gefallen zu sein, so ein echt deutsches Arschloch gewesen zu sein. Dass ihm das passiert ist. Bela tut, als hätte er es nicht bemerkt.
    »Verheiratet, vier Kinder«, sagt er, »kleinste sechs, größter fünfzehn. Keiner hier. Alle zu Hause.«
    »Wo ist das?«
    »Weit. Sieben Jahre.« Abwartend sieht Bela auf Anselm. Der lacht, streckt ihm die Hand entgegen.
    »Anselm«, sagt er, und Bela ergreift lächelnd die Hand und nennt seinen eigenen Namen. Hinter dem Tresen steht ein ausrangierter Hocker, den zieht er heran und setzt sich, Anselm gegenüber. Aus dem hinteren Eck des Restaurants sieht der Kollege zu ihnen herüber.
    »Mach uns noch zwei Espressi«, sagt Anselm zu Bela, »ich lade dich ein.«
    Der nickt, steht wieder auf, macht sich an die Arbeit. Währenddessen sieht Anselm dem Kollegen zu, wie er von Tisch zu Tisch geht und all die leeren Stühle unter die Tischplatten schiebt.
    »Ist wohl nichts los heute«, sagt Anselm, und der andere zuckt die Schultern. Der Espresso ist fertig, Bela sitzt ihm wieder gegenüber, zwei Tassen stehen zwischen ihnen.
    »Die Frau«, sagt Anselm und reißt ein Zuckertütchen auf, »die ist mein Anruf aus Hollywood. So was passiert dir nur einmal im Leben. Wenn überhaupt. Verstehst du?«
    Bela nickt, aber er sieht nicht so aus, als ob er das versteht.
    »Wieso Hollywood?«, fragt er.
    Anselm zerknüllt das leere Zuckertütchen.
    »Das ist nur ein Name. Für die ganz große Chance.«
    »Deutschland«, sagt Bela, »so wie Deutschland, ja?«
    »Na, ja«, Anselm nimmt die Tasse und trinkt sie aus, »Deutschland ist so.« Er dreht die Tasse um. Ein letztes braunes Tröpfchen schlägt auf der Untertasse auf und
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