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Allawa

Allawa

Titel: Allawa
Autoren: Unknown
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töten gelassen würde. Klingt ohnedies falsch, gibt es eben nicht. Also jedenfalls, er ist unschuldig.
    An einem der Abende wollte ich ein Gedicht über den Unterschied zwischen uns machen, diese Gedanken beschäftigten mich sehr. Leider lief es plötzlich in eine verkehrte Richtung: daß ich große Reisen übers Meer machen würde und er nicht.

    Armer Pim du bist ein Hund,
    wartest so treu hier im Haus.
    Kleiner Pim ich bin ein Mensch,
    und es zieht mich nach hinaus.

    Aber dann fand ich »Mensch« so ein blödes Wort, und die Rhythmusfehler in der letzten Zeile zu häßlich, und wahr war es auch nicht, mich zog ja gar nichts, einfach alles blöd, ich zerriß es.

    Die Feststellung, daß kein Gewissen in ihm sei, schwankte bald. Meine Mutter und ich kamen aus der Stadt, und er begrüßte uns unten am Gartentor mit einem merkwürdigen Gesicht, als erwartete er Strafe. Im oberen Garten zeigte sich, daß von einer großen Clivia, die den Sommer im Freien verbringen sollte, nur noch der Strunk übrig war. Schleifspuren im Kies, von Blättern gesäumt: Primus hatte den schweren Topf so lange um den Teich geschleppt, immer wieder am nächsten Blatt weiter, bis es nichts mehr abzureißen gab.
    Meine Mutter wehklagte, belachte aber wie wir alle seine Ausdauer und sprach von seinen offensichtlichen Gewissensbissen. Also doch Gewissen? Aber nur, dachte ich, weil er früher schon an der Clivia gezupft und man ihn getadelt hatte. Das ist wie wenn wir fürchten, daß die Erwachsenen uns ausschimpfen werden, weil sie es schon öfters wegen derselben Sache getan haben, und diese Angst nennen sie dann schlechtes Gewissen. Vielleicht gibt es zwei Gewissen? Eins, mit dem man sich einfach an schlechte Erfahrungen erinnert — das hat Primus auch — und ein richtiges wie die Mörder und Märtyrer; das hat er nicht.
    Schwierig. Weiter beobachten und nachdenken. Mein Vater hatte sich zwar einmal über mich lustig gemacht und gesagt, ich sollte nur ja nicht Philosophie studieren.
    Er lernte wunderbar. Ich brachte ihm bei, in jeder Stellung regungslos zu bleiben, indem ich ihn leicht antippte und die Fingerspitzen langsam wie von einem Kartenhaus zurückzog. Am Anfang flüsterte ich dazu » Schöön ruuhig «. Auf der Straße konnte ich dann Handschuhe auf seinen Rücken legen, den Schirm an ihn lehnen. Ich tat immer so, als müßte ich meine Mütze anders aufsetzen oder etwas in den Manteltaschen suchen, damit es für ihn einen Sinn hatte, bis ich »So, danke« sagte.
    Daraus entwickelte sich ein Kunststück, das meine Mutter immer wieder sehen wollte. Er setzte sich, ich hob sein Kinn an, er wartete mit zurückgelegtem Kopf unbeweglich, und ich legte einen ovalen Hundekuchen auf seine platte Schnauze, genau auf die Kreuzung von Nasenspalte und Maul. Dann begann ich eintönig: »Es war einmal ein Dorf auf einem Hochplateau. Aber eines Tages öffnete sich die Erde und das Dorf verschwand .« Das Wort »öffnete« sagte ich lebhaft, mit drei f, dabei riß er das Maul auf, und das Satzende haspelte ich blitzschnell herunter. Dieses immer spannende Spiel hieß »Erdbeben« und machte auch ihm großen Spaß, obwohl er gräßlich dazu schielte. Es ging aber nur mit »öffnete« oder »barst«; weichere Wörter wie »kam ein« oder »bebte die« eigneten sich nicht.
    Auch für meine Zeichenversuche blieb er liegen, bis ich fertig war. Ich fand ihn unvergleichlich schön. Die Samtfalten, die locker gewinkelten Beine, die Rückenlinie, die mächtigen Schultern. Schade, daß man mit dem Bleistift nicht das dumpfe Knacken festhalten konnte, wenn er Knochen zermalmte; wie sich dabei die Muskeln seitlich am Schädel spannten, seine halbgeschlossenen Augen mitkauten, mitschmeckten — Leute beim Essen sahen nie so schön aus. Ein Besuch sagte über meine Bilder: »Dieses Kind kriecht ja förmlich in den Hund hinein, mehr als mancher Künstler .« Förmlich zu kriechen klang sonderbar, förmlich bedeutete doch steif. Aber ich streichelte Primus stolz, er war ja das Kunstwerk, das uns Lob eintrug.

    Hätte man nur mit ihm sprechen können über all das, was er mit meinem Vater anstellte. Warf einen Radfahrer um, raufte mit einem Foxterrier, der ihn wohl an Cid erinnerte, tötete auf dem Land ein Huhn, dann eine Bauernkatze und trug sie angeblich durch sieben Dörfer mit. Die Schilderungen hatten Lacherfolge, aber dahinter war mein Vater ernst und ratlos. Ich fühlte undeutlich, daß Primus keinen Respekt vor ihm habe — oder sogar wirklich meinte, er
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