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All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman

Titel: All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman
Autoren: Martha Grimes
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Doppeldeckerbusse abschafften. Bald hieße es, Abschied zu nehmen von den missmutigen Schaffnern mit ihren Fahrkartenrollen. Schwarze Taxis. Es war in Ordnung, ab und zu ein silbernes oder blaues oder gemustertes zu sehen, aber bitte nicht alle. Nicht alle so. Statt an das abwesende Imbisswägelchen sollte er eigentlich an Lu im Krankenhaus denken …
    Geh nicht hin.
    Er ging hin.

5. KAPITEL
    St. Bart’s Hospital lag in der City, in der Nähe von Smithfield Market, gleich neben der wunderschönen Kirche St. Bartholomew. Als er Carol-Anne Palutski, seiner Nachbarin von oben, von der Nähe des Krankenhauses zum Smithfield Market erzählt hatte, meinte sie, er solle doch dort vorbeigehen und ein paar anständige Würstchen für ein Bauernfrühstück besorgen. Gut, hatte er gesagt, dann fahre ich dort gleich mit dem Laster vor.
    So viel Humor konnte er mit knapper Not aufbringen.
     
    Als er Lu Aguilar das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie ihm ihren Entschluss mitgeteilt, nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus nach Brasilien zurückzukehren. Ihre Familie sei dort, sagte sie, nicht hier.
    Jetzt wiederholte sie, was sie damals schon gesagt hatte: »Ich glaube nicht, dass ihr eine Polizistin im Rollstuhl gebrauchen könnt.«
    Jury beugte sich über das Bett. »Ich nehme die Polizistin so, wie ich sie kriegen kann.« Er hielt ihre Hand, rieb mit dem Daumen über die nun so zarten, zerbrechlichen Knochen. Lu hatte abgenommen, unnötigerweise. Wegen des Unfalls würde sie nie wieder richtig laufen können. Es war ein normaler Verkehrsunfall gewesen, zwei Autos, die bei Gelb über eine Kreuzung auf der Upper Street hatten fahren wollen. Das eine geradeaus, das andere beim Abbiegen. Der Fahrer des anderen Wagens war gleich an Ort und Stelle gestorben. In der kurzen Zeit seit dem schweren Zusammenstoß – vor drei, vier Wochen? – hatte sie
bestimmt zwanzig Pfund verloren, aber nichts von ihrer Schärfe und Direktheit. Auf sein Kompliment von vorhin erwiderte sie lachend: »Oh, nein, würdest du nicht.«
    Jury lehnte sich überrascht zurück. »Wieso? Hältst du mich für so oberflächlich?«
    »Natürlich.«
    Ihm war klar, dass sie ihn nicht für oberflächlich hielt. Es war die einfachste Art, ihm zu sagen, dass er nicht ehrlich war.
    »Du irrst dich«, sagte er. »Polizeiarbeit ist schon oft vom Rollstuhl aus gemacht worden. Wir schätzen dich schließlich nicht wegen deiner Fähigkeit, in Polizeiautos rein- und rauszuhüpfen. Du machst schließlich kein Geländerennen, sondern führst Ermittlungen.«
    »Oh, bitte.«
    Sie wandte sich ab, und Jury kam sich vor wie geohrfeigt. In dem Augenblick hasste er sie. Das Gefühl überflutete ihn und verschwand, wie eine Welle, die gleich wieder zurückweicht.
    Anders als ihr Hass auf ihren Zustand. Die Luft knisterte förmlich davon.
    Der Neurochirurg, der sie behandelt hatte, hatte Lu zweifellos das Leben gerettet. Das wusste er von Phyllis Nancy. Sie selbst war als Ärztin am Unfallort gewesen. Die unerschütterliche Phyllis Nancy. Er fragte sich, wie sie mit den zwei Vornamen eigentlich die Schule überstanden hatte. An Phyllis Nancy konnte er nie denken, ohne dabei zu lächeln.
    »Worüber lächelst du?«
    Jury fuhr zusammen. »Was? Über gar nichts.« Er schämte sich.
    »Das war aber kein Garnichtslächeln, und es galt auch nicht mir.«
    »Du bist ja schon viel besser im Gedankenlesen, Lu.« Wieder lächelte er, ein verwerfliches Lügenlächeln.
    »Ach, das konnte ich doch schon immer. Besonders deine.«
    Er spürte ihren Blick.

    »Du kannst es abhaken, Richard, du bist mich los.«
    Er wollte es wie einen weiteren Schlag ins Gesicht spüren, wie etwas, was er nicht verdiente. Ihm war nicht recht wohl bei dem Gedanken, dass er es doch tat.
    Sie bemerkte seinen Blick, konnte ihn nicht genau deuten, sah jedoch Unsicherheit und Gespaltenheit. »Ach was, hör auf«, sagte sie. »Wir haben uns doch nie – Mann, wir lieben uns doch nicht.« Sie versuchte sich aufrecht hinzusetzen, und es sah aus, als würde ihr empfindlicher Rücken vor Schmerzen gleich explodieren. »Oh, Mann! Hat denn hier keiner einen Drink oder wenigstens eine gottverdammte Zigarette?«
     
    Jury fiel jeder Schritt den weißen Korridor hinunter fast genauso quälend schwer wie ihr der Umstand, gelähmt in jenem Bett zu liegen.
    Grade noch mal davongekommen.
    Er wollte das Gefühl, das ihn dabei überkam, nicht näher erkunden. Es fühlte sich eindeutig nach Erleichterung an. Er hatte tatsächlich in einer
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