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All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman

Titel: All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman
Autoren: Martha Grimes
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Zwickmühle gesteckt. Ihm war inzwischen klargeworden, dass ihn lediglich etwas Sexuelles mit Lu verband. Falls sie beabsichtigt hätte, hierzubleiben, vielleicht sogar wieder bei der Kriminalpolizei Islington zu arbeiten – was hätte er dann gemacht? Sie geheiratet? Sich irgendwie um sie gekümmert? Dass Lu sich darauf eingelassen hätte, konnte er sich nicht vorstellen. Sie hätte gemerkt, dass er es aus Schuldgefühl tat. Oder aus Mitleid oder Verpflichtung.
    Der weiße Korridor schien kein Ende zu nehmen. Die Reihe von Aufzügen, das leuchtend rote »Ausgang«-Schild kam überhaupt nicht näher.
    Das hatte es so an sich, wenn man nach einem Ausweg suchte.

6. KAPITEL
    Er hatte die Wohnung am nächsten Morgen für ganze zwanzig Minuten verlassen, um Milch für seinen Tee zu holen. Bei seiner Rückkehr, als er die Milch in den Kühlschrank stellen wollte, fand er eine Nachricht vor, die mit einem kleinen Magneten in Form einer Banane an die Kühlschranktür geheftet war.
    In seiner Abwesenheit war Carol-Anne bei ihm ans Telefon gegangen. Vermutlich auf dem Weg zur Arbeit hatte sie es heute Morgen läuten hören und war schnell hereingekommen, um dranzugehen. Jury schloss selten seine Wohnungstür ab.
    Die Nachricht war in Carol-Annes unnachahmlichem Stil abgefasst. Wenn der Engel Gabriel Botschaften wie die von Carol-Anne überbracht hätte, hätte das Christentum wohl nie Fuß gefasst.
    »S.W. hat anger sgte high w. ds meld. verm. Fr. in Chess. Dachte S. sollten wissen.«
    Jury überlegte. Vielleicht hatte »S.W.« ja auch auf seinem Handy angerufen. Er sah nach und stellte fest, dass der Akku leer war. Er schalt sich, weil er vergessen hatte das Gerät aufzuladen, und grübelte erneut über die Nachricht nach. Dann ließ er sie liegen, um sich Tee zu machen und in die Zeitung zu schauen, die er zusammen mit der Milch erstanden hatte.
    Der Mord in Chesham hätte mittlerweile niemanden mehr groß interessieren sollen. Doch nein, die Londoner Zeitung hatte die Geschichte sogar noch weiter aufgeplustert. Passierte im Londoner Zentrum eigentlich nicht genug, um einen Mord in einem Dorf in Buckinghamshire dagegen verblassen zu lassen?
    Offenbar nicht. Jedenfalls holten die Zeitungsschreiber immer
noch aus der Sache heraus, was sie konnten, und ließen sich ein weiteres Mal lang und breit über Jurys Suspendierung wegen der Geschichte in der Hester Street vor ein paar Monaten aus; ein Schuss, der ja bekanntlich nach hinten losgegangen war. Es hatte ein paar öffentliche Proteste dagegen gegeben, dass dieser Detective dafür bestraft worden war, den armen, kleinen Mädchen das Leben gerettet zu haben. So war Jury zum edlen Ritter der Metropolitan Police hochstilisiert worden, zum Retter der vom Unglück Verfolgten.
    Oh, Mann! Jury schmiss die Zeitung auf den Sofatisch, nahm einen herzhaften Schluck aus seinem Teebecher und las die Nachricht noch einmal durch. »S.W. hat anger …« Sergeant Wiggins hat angerufen. Das musste es sein. Nun, in ein paar Minuten würde er diesen Sergeant Wiggins sehen, falls er der Anrufer war.
    Jury trank seinen Tee vollends aus, griff nach Mantel und Schlüssel und verließ die Wohnung.
     
    Sergeant Wiggins rührte mit einer Lakritzwurzel in seinem Tee und zog erstaunt die Augenbrauen hoch, als Jury ins Büro trat. »Haben Sie meine Nachricht bekommen?«
    »O ja, eine Nachricht oder etwas in der Art habe ich bekommen, von Carol-Anne.« Er zog sie hervor und las vor, so lautschriftlich er konnte: »S.W. hat anger sgte high w. ds meld. verm. Fr. in Chess. Dachte S. sollten wissen.« Er hob den Blick und bemerkte Wiggins’ tiefe Stirnfalten. »Schließlich bin ich draufgekommen, dass mit S.W. Sie gemeint sein könnten.«
    »Ja, aber was …« Ihm ging ein Licht auf. »Natürlich. Dieses ›verm. Fr. in Chess‹: das soll heißen, ein Detective Sergeant vom Hauptquartier in High Wycombe hat angerufen, um Ihnen mitzuteilen, dass eine Frau als vermisst gemeldet wurde.«
    »Weiß man denn, wer?«
    »Nein. Die Meldung kam von einer Tante, die ihre Nichte seit drei Tagen nicht gesehen hat, fast vier, wenn man heute früh mitzählt …«

    Jury runzelte die Stirn. »Hat ja ganz schön lange damit gewartet.«
    »Es ist so, dass die vermisste Nichte oft übers Wochenende nach London fährt, die Tante also annahm, sie wäre dort. Na, ihre Nichte war jedenfalls nicht die Tote, die beim Black Cat gefunden wurde. Das Mädchen stammt aus dem Ort.«
    »Das Mordopfer vielleicht auch.«
    »Nicht in diesem
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