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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989
Autoren: Walter Kempowski
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Wehrdienst im Sozialismus ist Dienst am Frieden
     
    Post: Eine Dame aus Österreich schreibt, daß meine Bücher sie zum Schmunzeln angeregt haben. Es wird auch Leute geben, die
über meinen Romanen die Fäuste ballen. Oder ausspucken, wie jene Studentin in Oldenburg.
    Jemanden an den Kanthaken kriegen.
    Ein Herr schickt zwei Ansichtskarten eines Kreuzfahrtschiffes, ob ich die gebrauchen kann.
    In den USA gibt es Spezialgeschäfte für Glückwunschkarten. Man müßte mal einen ganzen Jahrgang aufkaufen und lagern. Später wird es bestimmt Sammler dieser Spezies geben. Wenn wir mit Ansichtskarten bedacht werden, sagt Hildegard:«Was das kostet!»
    Eine Dame lädt mich in den Harz ein, sie hätte viel Platz im Haus, und ich hätte dort mein Reich für mich, wir könnten uns dann was von unserm Mecklenburg erzählen bei Doppelkorn oder einem Glas Rotspon. Und dann geht sie in die Küche und kocht«uns zwei Beiden was Schönes». An sich ja nett von ihr.
    Literatur-Seminar: Das übliche Gewusel. Die Leute ziehen folgsam Hausschuhe an, das hat was von Après-Ski an sich. Jeder hat irgendwo sein Gewölle. Es fehlt der große Ofen, auf dem wir es uns gemütlich machen können, so ein allgemeines Geschmuse. Ein Schmuse-Seminar mit synchronen Ejakulationen. O Gott, das Gekreische!
    Martin Andersch sagte beiläufig, daß er schon Tage vorm Seminar keine Eier ißt, um bei uns tüchtig reinhauen zu können, unsere Eier schmeckten so gut. Am meisten ißt Deuterus, es ist sagenhaft, was der verdrücken kann.
    Gegen Mitternacht gründete ich mit der Jugend einen Pfefferminzlikör-Klub, giftgrün muß er sein! Dann ab ins Bett, von unten ist das Weitermachen zu hören. Ich liege, den Kopf auf drei Kissen und lese in einem alten Konzertführer. Diese sonderbaren Texte müßte man in einem Hörspiel verarbeiten:
    Über einem dissonanten Pizzikato der Streicher huscht ein geheimnisvoll-phantastisches Thema der Flöte, durch die pizzikierende erste Violine verschärft, im schnellen Ab- und Aufstiege dahin. Dieses Thema stellt nur die tonliche Zerlegung der beharrenden Dissonanzunterlage dar. Im Gegensatze zu der Erdhaftigkeit des
Brucknerschen Scherzos in den meisten übrigen Sinfonien ist dieses gleichsam in eine entmaterialisierte, rein geistige Sphäre emporgehoben: ein ätherisch leichtes Auf- und Niederschweben der von aller irdischen Schwere befreiten Seele …
    Immerhinque: Wenn eines Tages alle Tonträger zertrümmert sein werden und niemand mehr ein Instrument zu spielen versteht, wird man dergleichen noch lesen können. Vielleicht entsteht dann eine spezielle Gedankenmusik.
    Ähnlich geeignet als Bettlektüre und jedermann zu empfehlen sind Ratschläge für den«guten Ton».

Nartum
Fr 6. Januar 1989
    Bild: Gesundheitsreform/Herr Blüm, diese Kranken klagen an
    ND: Hohe Wettbewerbsziele zum 40. Jahrestag der DDR
     
    Wellershoffs Jugenderinnerungen. Die Soldaten zogen die Köpfe ein, schreibt er. Sind das denn alles Mißgeburten? Sie setzten sich ihre Stahlhelme auf. Hatte denn jeder zwei? Wie in Kolumbien, da tragen die Frauen in der Tat mehrere Hüte?«Sie setzten sich ihre Hüte auf», das ist zwar unsinnig, aber in diesem Fall korrekt.
    Das Seminar ist beendet, freundliche Leute waren es, fünf Tage. Ade Pfefferminzlikörklub! Und ade, ihr lieben Leute, nie sehen wir uns wieder. Ich duschte mich, um ein neues Leben anzufangen, und präsentierte mich der lieben Hildegard in tadelloser Verfassung, putzte mir die Schuh und zog ein helles Jackett an. Vor den mexikanischen Masken blieben sie stehen. Sie hängen im Archivgang wie in Gutshäusern die Gehörne von Rehbökken. Was mich vor Jahren«umschmiß», der Unterschied zwischen den öden Andenkenläden in San Diego und zehn Meilen weiter südlich, in Mexiko die Explosion von Volkstum. -«Was sind das für Masken?»fragten sie. Ich zeigte ihnen die primitiven Materialien, aus denen die Masken gefertigt wurden, Krebsschwänze
auf halben Kokosnüssen. Und ich gab die Story zum besten, wie ich in Thaos auf dem Fußboden gesessen hab’, die Masken um mich herum.
    «He is impressed», sagte eine Kundin zu der Verkäuferin.
    «My name is Elisabeth», sagte die Verkäuferin und nahm meinen Scheck und versprach, mir die Masken nach Deutschland zu schicken. Und sie tat’s! Ich versprach ihr dafür ein Foto von den aufgehängten Masken, und ich tat’s nicht! Eine nicht zu überwindende Trägheit hielt mich davon ab.
    Die Hühner waren die Stars, wurden fotografiert von allen
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