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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989
Autoren: Walter Kempowski
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Seiten.«Sind das alles Hähne?»- Manchmal lasse ich extra eine Tür offen, damit sie ins Haus kommen. Eine Henne lagerte unter dem Sofa und lauschte meinen Ausführungen.
    M/B: Die Anekdoten sind es, die das größte Interesse hervorrufen. Daß die Autos in Polen von den mitreisenden Werksleuten nachts, während wir schliefen, gewaschen wurden z. B., und daß die Ford-Leute uns vorsorglich Kleingeld für die Strafmandate der Polizei aufs Amaturenbrett gelegt hatten.
    Die Laien-Lesungen am letzten Abend: Eine Greisin setzte sich extra auf die Stufen, statt auf den Vortragsstuhl, sie meinte wohl, das wirke jugendlich und progressiv. Eine andere erklärte, daß sie vorm Schreiben immer erst aufs Klo geht und sich tüchtig auspinkelt. Das wurde nachher noch in Knittelversen glossiert.
    Zwölf Nächte
    Die geheimnisvolle Zeit der Zwölften oder Zwölf Nächte beginnt am 25. oder am 29. Dezember, zuweilen auch schon am 13. Dezember. In diesen Rauhnächten (die wichtigsten sind die zum 25. und 29. Dezember, 1. und 6. Januar) erreicht nach altem Glauben die dämonische Macht der Finsternis ihren Höhepunkt. Ihr muß mit Lärm und Maskenumzügen begegnet werden. An manchen Orten spielt dabei die Gestalt der Perchta (Berchta), einer Frauenfigur aus der germanischen Mythologie, eine Rolle (Perchtenläufe, Perchtenspringen). Auf germanische Vorstellungen geht auch die Furcht vor dem«wilden Jäger»(bzw. der«wilden Jagd») zurück, der in diesen Nächten unterwegs ist; vielerorts gilt es auch heute noch als gefährlich, während dieses Zeitraums Wäsche zu waschen und zum Trocknen aufzuhängen. Seit alter Zeit haben um
Neujahr und Epiphanie allerhand Deute- und Beschwörungsbräuche ihren Platz (Orakel, Bleigießen, Neujahrs- oder Dreikönigszauber). Dreikönigsgebäck mit einer eingebackenen Bohne oder Krone wird gebacken und ausgeteilt, um den Bohnenkönig zu krönen. Älter noch ist die Vorstellung, daß die«armen Seelen»durch Backwerk in besonderer Gestalt versöhnt werden können. In vielen Familien wird am 6. Januar der Weihnachtsbaum geplündert.
    Was man alles nicht weiß!
    Die Wilde Jagd jagte heute denn auch ums Haus herum, ganz zünftig. Ich sitze in meinem Bett und horche in das Zittern und Heulen hinaus. Nach altem Glauben sind es die Engelheere, gute und böse, die miteinander kämpfen! Der Gedanke, daß die liebe Mutter heimat- und wärmelos sich unter ihnen befindet und auch mitkämpfen muß …
    Die zwölf Rauhnächte: In unserm unfeierlichen Norden hat man von all dem keine Ahnung. Es weht halt, das ist es.
    23.30 Uhr. - Stille ist eingekehrt. Kalt.
    Über Erika Mann. Ihr psychedelisches Ende. Dann doch tragisch, wie jedes Menschen Ende.

Nartum
Sa 7. Januar 1989
    Bild: Der Geisel-Bus von Bonn/Schüsse an der roten Ampel: Alle frei/Der mutige Fahrer berichtet
    ND: Wachsende Leistungskraft der Volkswirtschaft 1988
     
    Radio: Das Wort«schnurstracks». Von dem Vorklassiker Abel führe der Weg schnurstracks zu Haydn, sagt die Ansagerin.«Und deshalb gibt es jetzt ein Menuett von Haydn.» Wes halb? Und welches?
    «Mark und Bein»entfaltet sich wie ein Fächer. Es ist spannend und angstmachend zugleich. Leider spielt der Computer nicht mit. Ich wollte in zwei Spalten schreiben: Links den Text und
rechts die Assoziationen zum Text. Unzureichende Technik verhindert die Ausführung einer Idee. Ich hatte mir das so schön gedacht: den Text runterklappern und rechts den Kontratext assoziativ dazu schreiben, in plötzlicher Anmutung.
     
    2000: Andererseits: Technik provoziert auch Ideen. Wie die Orgel eine gänzlich neue und spezielle Literatur hervorbrachte, so der Computer. Das«Echolot»wäre ohne einen Rechner nicht denkbar gewesen.
     
    Im Radio war eine Collage über die Französische Revolution zu hören. Damit werden wir nun das ganze Jahr gefüttert werden. Ich schaltete mich mehrmals ein, legte dann aber doch Mozart auf, den ich dann allerdings auch nicht mehr hören mochte. Zu abgenudelt.
    Mitternacht! Das Herz erwacht!
    Meine Funkuhr rast sich in den neuen Tag hinein, das macht sie jede Nacht, meist merkt man nichts davon. Das Leben rast hinterher.
    Mittags Pilzragout, abends Frikadellen.

Nartum
So 8. Januar 1989
    Welt am Sonntag : Die USA drängen auf Einheitsfront gegen Libyen/Chemiewaffen-Konferenz eröffnet - Genscher: deutschamerikanische Verstimmung ausgeräumt
    Sonntag: Brechts Courage, zu einer deutschen Erstaufführung vor 40 Jahren. Von Werner Hecht
     
    Heute früh hörte ich mir die
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