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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989
Autoren: Walter Kempowski
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Bach-Kantate an:«Wie schön leuchtet der Morgenstern.»
    Philipp Nicolai hat übrigens in Hamburg gelebt. Ob die das noch wissen dort? Der kulturlose Norden.
    Am Vormittag legte ich mir eine Patience und las Briefe.

    Das Patiencen-Buch habe ich für 8 Mark irgendwo auf dem Ramsch gekauft, es liegt hier schon jahrelang herum. Die schönen alten Bezeichnungen: Cœur, Caro, Treff und Pique. Meine Mutter sagte stets«Treff»statt«Kreuz». Sie sagte ja auch«bleu»zu hellblau …
    Ab und zu tat ich einen Blick in den Garten: Auf der Laube liegt tauender Schnee, ein Morgen-Service des Wetters, der nichts weiter zu bedeuten hat.
    Post: Eine Dame aus Berlin schreibt, sie könne mir über das Kriegsende in Schlesien«ungeschminkte Tatsachen»mitteilen. Ein Herr teilt mit, daß er mit Oberst a. D. Rudel freundschaftlich verbunden gewesen sei.«Die Tragik dieses Lebens, mißbraucht von Politikern und dem Zeitgeist, darf nicht vergessen werden und gibt beispielhaft wohl manchen Einblick in das Schicksal unseres Volkes.»
    Ein Herr aus Siegburg schreibt, daß er seine ganzen Feldpostbriefe mit der Hand in japanische Kladden abgeschrieben hat. Alles in allem 1500 Seiten. Es hat ihm Freude gemacht, sich in den Monaten, die er jedes Jahr in Mallorca ist, mit seinem Leben zu beschäftigen.
    Japanische Kladden? Sind diese Dinger nicht aus Hongkong? Der Brief gibt Rätsel auf. Und jedes Jahr Monate in Mallorca?
    Ich sitze vor dem Computer wie früher vorm Radio, wenn ich insgeheim BBC hörte. Oder wie an einem Funkgerät, durch das ich Verbindung aufnehmen muß mit den Seelen, die mir erzählen wollen von ihren letzten Stunden.
    Abends: Staunend und voll Neid lese ich in den Tagebüchern von Musil, die vom Herausgeber durch Fußnoten und eckige Klammern grotesk entstellt sind.
    Hildegard hört im Radio eine Rossini-Oper. Das hallt durchs ganze Haus. Unerträglich. Aber doch ganz hübsch.
    Buchtitel für ein Tagebuch: PENTIMENTI (Reuestriche) TV:«The Dead»von Huston, ich weine! Ist das ein schöner Film!«Bräutlich geschmückt», dieses Lied, von einer Greisin gesungen. Das kann nicht vergessen werden. Das gehört zu den großen Szenen im Film, die dauern.

    Der Tod müßte weiblichen Geschlechts sein. Willig würde ich mir den Mantel anziehen lassen und die Schuhe zumachen. Sie hat mich eingelassen ins Leben, und sie öffnet mir das große Tor. Im Bett. Der Hund nebenan bellt wieder mal. Hau-hau-hau … hau-hau-hau … Zehn Jahre lang das Hundegebell. Aber wir wären nicht dagegen angekommen. Andeutungen, Vorschläge, Klagen, ja Bitten nützten nichts. Polizei oder Tierschutzverein wären umsonst bemüht worden. Böses Blut würde entstehen.
     
    2000: Der Hund bellte noch weitere zehn Jahre. Bis sein Herrchen starb, und da war mit einem Schlag Schluß.
     
    Mittags: Rinderbraten mit jungen Erbsen und süßen Karotten. Dazu einen Vanillepudding. Himbeersauce fehlte leider. Da frage ich mich denn doch: Wieso eigentlich?

Nartum
Mo 9. Januar 1989
    Bild: Wut auf Ausländer/Deutscher verbrannte 3 Türken
    ND: Werner Eberlin sprach auf Meeting der DKP/Großes Interesse für den realen Sozialismus auf deutschem Boden
     
    Dorfroman: Hildegard meint, die Schafe seien beleidigt, weil sie ihnen statt Kraftfutter nur Heu vorgeworfen hat. - Später berichtet sie, daß die Tiere jetzt wiederkäuten, also doch wohl vom zunächst verschmähten Heu gefressen hätten.
    Die rülpsenden Schafe.
    Als ich spazierenging, sah ich, wie appetitlich Hildegard ihnen das Heu hingebreitet hat. - Lustig, wenn die Tiere mit vollem Mund«mähen». - Übrigens fressen sie Heu vom Vortag nicht mehr, auch wenn sie noch so großen Hunger haben.
    Ich bin sehr dahinterher, daß die Hühner auch was zu trinken kriegen, die armen Tiere in ihrer Stalleinsamkeit. Wenn ich ihnen
morgens die Tür öffne, komme ich mir wie ein Gefängnisschließer vor. Rede schon draußen beruhigend was vor mich hin, damit sie sich nicht erschrecken.
    Der Munterhund lag heute Mittag auf dem Rücken und schnarchte, die Hände in Pfötchen-Haltung.
    Ein Heiligenlexikon kam mit der Post sowie allerlei Glücksverheißungen, wenn ich sofort bestelle bzw.«rubbele».
    In Oldenburg sprach ich über die sogenannten Normalwörter, von denen jeder Abc-Schütze zwischen 60 und 100 kennen muß, ehe es mit dem«Buchstaben-Ausgliedern»losgeht: DACH, WASSER, AUTO usw.
    Bei«Ali Baba»allein gegessen, wie immer Kebab und die gerösteten Teigröllchen mit Quark gefüllt: 38 DM. Dazu
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