Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alien Earth - Phase 3

Titel: Alien Earth - Phase 3
Autoren: Frank Borsch
Vom Netzwerk:
und Jerusalem. Schwärze verschluckte den Kilimandscharo in Afrika.
    Neben Wilbur weinte leise der Junge.
    »Bist du traurig?«, fragte Wilbur.
    »Ja. Du nicht?«
    Wilbur antwortete nicht. Er wusste keine Antwort. Er wusste nur, dass er noch nie in seinem Leben eine solche Ruhe in sich verspürt hatte. Er fragte: »Sollen wir?«

    Der Junge nickte. »Wir haben hier nichts mehr verloren, oder?«
    »Nein.«
    Wilbur zündete die Triebwerke der Superhero , ließ das Schiff einen Halbkreis beschreiben. Sie wandten der Erde jetzt den Rücken zu.
    Wilbur wartete einen Augenblick, holte tief Luft und legte die Hände an den Helm, der ihn mit der Erde verband. Vorsichtig zog er an ihm. Der Helm löste sich mit Leichtigkeit, als hätte Wilbur nur lernen müssen, wie man ihn richtig anfasste.
    Milliarden Stimmen verstummten. Das Flüstern der Menschheit, das ihm wie Geschrei in den Ohren gelegen hatte, war nicht mehr. Das Überwesen Wilbur mit seinen zahllosen Augen und Ohren und den Händen, die jeden Punkt der Erde berühren konnten, war nicht mehr.
    Seine Kopfhaut juckte. Wilbur kratzte sich mit beiden Händen. Was für ein Genuss es war, etwas Gewöhnliches, Körperliches zu tun, endlich wieder ein Mensch zu sein.
    Der Junge hatte aufgehört zu weinen. »Wohin willst du?«, fragte Wilbur ihn.
    »Dorthin.« Der Junge zeigte auf das Band der Milchstraße.
    »Gut.«
    Wilbur zündete die Triebwerke und beschleunigte. Der Andruck presste sie in einer Nachahmung von Schwerkraft in die Sessel, als die Superhero die Umlaufbahn verließ.
    Die Erde blieb hinter ihnen zurück. Die Menschen mochten einen langen, qualvollen Tod auf der Welt sterben, die Wilbur geschaffen hatte. Sie mochten der Gnadenlosigkeit der Seelenbewahrer zum Opfer fallen. Oder sie würden überleben, noch einmal neu anfangen.
    Wilbur hatte ihnen ein Geschenk hinterlassen. 50 000 Patronenschiffe kreisten in der Umlaufbahn des Planeten. 50 000 Chancen, neue Welten zu erreichen, sollten die Menschen einen Weg finden, zu den Schiffen zu gelangen, die dicht über ihnen am Himmel schwebten und gleichzeitig in unerreichbarer Ferne.

    Sie warteten, bis die Superhero die Höhe der Jupiterbahn hinter sich gelassen hatte, dann legten sie sich auf die Stasisbänke. Sie hatten sie aus einem Patronenschiff ausgebaut und auf die Superhero gebracht. Es war so einfach gewesen, dass Wilbur den Verdacht nicht abschütteln konnte, dass Hero bereits bei der Konstruktion der Superhero einen solchen Fall vorausgesehen hatte.
    Wilbur glaubte nicht, dass er jemals Gelegenheit bekommen würde, Hero danach zu fragen.
    Vor ihnen lag ein langer Flug, er würde Jahrtausende dauern.
    Für sie würde nur ein Augenblick vergehen.
    Wilbur fragte sich, was sie jenseits dieses Augenblicks erwartete. Dann schaltete er die Stasis ein.

    Homo Sapiens+ loggt sich aus.
     
    Einen Moment lang hält er inne, fühlt er seine Ohnmacht, die ihn ins Netz getrieben hat. Sie ist nicht länger unerträglich.
    Er greift neben sich auf den Stuhl und nimmt das TAR-21 hoch, das Paulo ihm mit der letzten Lieferung gebracht hat. Das Gewehr ist unmöglich schwer, aber das will nichts heißen. Für seine schwindenden Muskeln gibt es wenig, das nicht schwer ist. Jeder Atemzug ist es.
     
    Er fährt bis an die Wand zurück, entsichert die Waffe, wie Paulo es ihm gezeigt hat, und drückt ab. Das Magazin entleert sich. Die Kugeln durchlöchern die Displaywand. Ein Kurzschluss lässt sie ein letztes Mal grell aufbäumen, dann ist sie tot. Kugeln schießen den Rechner in Stücke, anschließend den Back-up des Rechners, anschließend den Back-up des Back-ups.
     
    Es gab eine Zeit, in der er sich kein Leben außerhalb des Netzes vorstellen konnte.
     
    Das ist jetzt vorbei.
     
    Er lässt das Gewehr fallen und rollt in die Küche, um seine letzte Mahlzeit zu sich zu nehmen: altes Brot, reifer Peccorino und zum Nachtisch eine halbe Tafel Schokolade. Es ist alles, was von dem übrig ist, was Paulo ihm jede Woche bringt. Paulo ist seit vier Tagen überfällig. Er glaubt nicht, dass Paulo noch einmal kommt.
     
    Er isst langsam. Er kann nicht anders. Das Brot ist hart, seine Kiefermuskeln sind wie alle Muskeln seines Körpers nur noch ein Abklatsch.
     
    Er blickt aus dem Fenster. Es ist ein kalter, klarer Tag. Er sieht das verlassene Dorf im Schnee, die Südausläufer der Alpen, schließlich die Poebene. Früher, wenn er beim Essen saß, hat er aus dem Fenster gesehen und sich vorgestellt, er wäre der letzte Mensch der Erde.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher