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Alicia II

Alicia II

Titel: Alicia II
Autoren: Robert Thurston
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sie da und starrte die Leiche an.
    Ich wandte den Blick ab. Es war weniger deswegen, daß es mir vor Cheryls Leiche grauste, als daß ich Alicia nicht ansehen wollte.
    »Es war nötig, Voss«, erklärte Alicia schließlich. »Wir haben immer noch eine kleine Chance. Wäre sie am Leben geblieben, hätte sie …«
    »Was für eine Chance? Sie haben Stacy!«
    »Stacy? Ist er festgenommen?«
    Einen Augenblick lang konnte ich nicht sprechen, wollte ich ihr nicht sagen, daß auch er tot sein mußte. Dann erzählte ich es ihr.
    »Es tut mir leid, Voss. Es tut mir leid, daß du es mir nicht sagen konntest. Aber ich glaube, ich habe es doch richtig gemacht. Wir mußten Cheryl töten. Es macht mir nichts aus. Glaub bloß nicht, daß es mir etwas ausmacht. Es gibt keinen Grund …«
    »Vergiß es. Machen wir, daß wir hier wegkommen. Wie du sagtest, vielleicht haben wir noch eine Chance.«
    Bevor wir das Büro verließen, blickte Alicia auf Cheryls Leiche zurück und sagte: »Ich hoffe, man findet sie rechtzeitig.«
    »Rechtzeitig?«
    »Nun, es trifft sich günstig für sie, daß sie hier gestorben ist. Sie kann erneuert werden und dann vielleicht wieder etwas Vernünftiges tun, Romane schreiben oder …«
    »Komm schon.«
    Ich erinnerte Alicia erst später daran – nicht bevor wir Korridore entlanggerannt und durch Luken geklettert waren und Kontrollpunkte umgangen hatten, nicht bevor wir in die Außenwelt gelangten und eine Limousine stahlen, nach Washington zurückfuhren und nach New York flogen –, daß sich ihre Hoffnung, Cheryl werde einen neuen Körper bekommen, auf eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit gründete.
    Alicia fragte, immer noch benommen, wieso. Ich antwortete, Stacy und ich hätten Erfolg gehabt und für einige Zeit würden nur sehr wenige Erneuerte aus der Washingtoner Kammer für die Vergabe neuen Lebens zum Vorschein kommen. Alicia hatte Cheryl in ihre Zählung der vernichteten Erneuerten nicht mit eingeschlossen. Ein Ausdruck des Entsetzens überzog ihr Gesicht. Dann wurde sie ganz ruhig. Sie wiederholte, ich solle nicht glauben, daß es ihr etwas ausmache. Es tue ihr leid, aber es mache ihr nichts aus.
     

 
12
     
    Während der Reise nach New York schlief ich immer wieder ein und sah die seltsamen Gestalten und flackernden Umrisse der Seelen vor mir, die ich »getötet« hatte.
    Ich redete mir selbst zu, sie seien noch nicht einmal tot, sie seien immer noch bewußtlose Wesenheiten, die versorgt und erhalten wurden. Aber der Tod näherte sich ihnen. Sie würden langsam ausbrennen, ohne es zu merken, sie würden eine Lebensspanne zu früh in die Ewigkeit eingehen. Oder zu spät, je nachdem, welchen Standpunkt man einnahm. In jedem Traum schienen die Seelen zu leiden; sie beschworen mich, meine Tat rückgängig zu machen, sie am Leben zu lassen, ihnen nur noch eine einzige weitere Lebensspanne zu geben, eine einzige Chance noch, Unrecht wiedergutzumachen und Wunder zu wirken, nur noch eine Lebensspanne, um weitere Fehler zu begehen, um die große Liebe zu finden. Immer wieder zwang ich mich aufzuwachen. Alicia, die sich um mich sorgte, aber klug genug war, keine Fragen zu stellen, flüsterte mir nur tröstliche Worte zu und erkundigte sich, ob ich etwas essen oder trinken wolle. Ich konnte nicht essen oder trinken.
    Endlich, als wir bei Ben waren und er sich so gottverdammt fröhlich zeigte, so glücklich über den Erfolg der Mission, mußte ich ihm sagen: »Ben, es war unrecht.«
    »Komm, komm, Voss, halt mir jetzt keine Moralpredigt. Das hatten wir alles schon einmal. Ich kenne die Argumente beider Seiten, ich …«
    »Nein, das meine ich gar nicht. Ich will keine College-Diskussion abhalten. Ich glaube, wenn ich noch eine Diskussion über Ethik und Moral über mich ergehen lassen müßte, würde ich sterben. Ich will nur sagen, daß es – unrecht war. Es tut mir leid, daß ich es getan habe.«
    »Vergiß es, Voss. Das geht vorbei.«
    »Du hast unrecht. Ich habe unrecht. Es war nicht notwendig, sie zu töten.«
    »Du bist nur aus der Fassung. Damit habe ich gerechnet, es ist eine natürliche Reaktion, und es ist nur logisch …«
    »Halt mir nicht dauernd vor, was logisch ist. Nichts ist logisch. Millionen in Gaskammern zu schicken, Städte zu bombardieren, bewohnte Asteroiden zu sprengen, einen lächerlichen magischen Staub in eine Erneuerungskammer zu bringen. Nichts davon ist logisch.«
    »Ich finde, du solltest dich ausruhen. Dann …«
    »Ich bin mir nicht einmal sicher, daß es unrecht war.
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