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Alibi

Alibi

Titel: Alibi
Autoren: Agatha Christie
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sind.»
    Hastig verließ sie das Zimmer.
    Ich schlenderte ans Fenster und dachte nach, warum sie wohl in so auffallender Weise bemüht war, ihre Anwesenheit im Zimmer zu rechtfertigen. Bei dieser Gelegenheit sah ich – was ich ohnedies schon wusste, vorhin aber nicht bedacht hatte –, dass die Fenster in Wirklichkeit hohe Flügeltüren waren, die sich auf die Terrasse öffneten. Das Geräusch, das zu mir gedrungen war, konnte daher nicht von dem Herablassen eines Schiebefensters herrühren.
    Mehr um mich von peinlichen Gedanken abzulenken als aus anderen Gründen, mühte ich mich zu erraten, was wohl jenes Geräusch verursacht haben konnte.
    Dann fielen meine Augen auf ein Möbelstück, das man, wie ich glaube, eine Vitrine nennt. Ihr Deckel kann angehoben werden, und durch das Glas sieht man den Inhalt des Schrankes. Ich trat hinzu und betrachtete dessen Inhalt. Da gab es einige antike Silbergegenstände, einen Kinderschuh von König Karl L, etliche chinesische Figuren aus Jade und eine Menge afrikanischer Geräte und Raritäten. Ich hob den Deckel, um eine Jadefigur näher zu betrachten. Da entglitt er meinen Fingern und fiel zurück.
    Sofort erkannte ich, dass ich dieses Geräusch schon vernommen hatte; als hätte jemand diesen Deckel langsam und vorsichtig geschlossen. Um mich zu überzeugen, wiederholte ich die Bewegung.
    Ich stand noch über die Vitrine gebeugt, als Flora Ackroyd eintrat. Viele mögen sie nicht, doch niemand kann ihr seine Bewunderung versagen. Zu ihren Freunden kann sie reizend sein. Ihr echt skandinavisches Haar leuchtet wie fahles Gold. Ihre Augen sind blau – blau wie die Wasser der norwegischen Fjorde, und ihre Haut schimmert wie Milch und Schnee. Ihre Schultern wirken etwas knabenhaft, ebenso die schmächtigen Hüften.
    Flora trat zu mir an die Vitrine und äußerte ketzerische Zweifel über den Kinderschuh, den Karl I. getragen haben sollte.
    «Unter allen Umständen», fuhr Miss Flora fort, «halte ich das Aufheben, das man von Dingen macht, nur weil irgend jemand sie trug oder benützte, für lächerlichen Unsinn. Die Feder, mit der George Eliot schrieb, ist nur eine Feder wie alle anderen Federn. Wenn jemand wirklich so für George Eliot schwärmt, warum kauft er nicht lieber das Buch, das sie schrieb?»
    «Ich vermute, Sie lesen nie so unmoderne Sachen, Miss Flora?»
    «Sie irren, Doktor Sheppard. Ich liebe George Eliots Werke.»
    Das freute mich. Es ist wirklich erschreckend, was junge Mädchen heutzutage lesen und was ihnen eingestandenermaßen gefällt.
    «Sie haben mir noch nicht gratuliert, Doktor Sheppard», sagte Flora. «Wissen Sie noch nichts?»
    Sie streckte mir die Hand entgegen, an deren drittem Finger eine wundervoll gefasste Perle schimmerte.
    «Ich heirate Ralph», fuhr sie fort. «Der Onkel freut sich sehr darüber. Dadurch bleibe ich in der Familie.»
    Ich ergriff ihre beiden Hände.
    «Mein liebes Kind», sagte ich, «ich wünsche Ihnen alles Glück.»
    «Wir sind seit einem Monat verlobt», fuhr Flora in ihrer kühlen Art fort, «doch erst gestern wurde es öffentlich bekannt gegeben. Onkel Robert will uns Great Stones als Wohnsitz überlassen, wo wir dann Landwirtschaft treiben könnten. Aber wir werden den ganzen Winter hindurch jagen, die Saison in London verbringen und dann auf unserer Jacht segeln. Ich liebe das Meer. Natürlich werde ich auch den Veranstaltungen unseres Pfarrkreises Interesse entgegenbringen und den Sitzungen des Mütterbundes beiwohnen.»
    Hier rauschte Mrs. Ackroyd herein und entschuldigte sich langatmig, dass sie sich verspätet habe.
    So leid es mir tut, ich muss sagen, dass ich Mrs. Ackroyd nicht mag. Sie besteht nur aus Knochen, Zähnen und Ketten. Eine äußerst unangenehme Frau. Sie hat kleine, steingraue Augen, und tönen ihre Worte noch so überschwänglich, ihre Augen blicken stets berechnend.
    Ich ging ihr entgegen, während Flora am Fenster stehen blieb, und drückte ihre ringgeschmückte Hand. Dann begann sie hastig zu plaudern. Ob ich schon von Floras Verlobung wisse? Wie passend in jeder Hinsicht! Die reizenden jungen Leute hatten sich auf den ersten Blick ineinander verliebt. So ein vollkommenes Paar, er so dunkel und sie so blond!
    «Ich kann Ihnen gar nicht sagen, lieber Doktor Sheppard, welche Freude dies für ein Mutterherz ist.»
    Mrs. Ackroyd seufzte – ein Tribut, den sie dem Mutterherzen zollte –, während ihre Augen mich scharf beobachteten.
    «Roger und Sie sind doch alte Freunde. Wir wissen, wie viel er auf
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