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Alibi

Alibi

Titel: Alibi
Autoren: Agatha Christie
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Abstreiten.
    «Das sieht dir ähnlich», rief ich, «so ohne Sinn und Verstand zu reden! Weshalb, um Himmels willen, sollte Mrs. Ferrars Selbstmord begangen haben? Eine gesunde, wohlhabende Witwe in den besten Jahren, die nichts anderes zu tun hatte, als ihr Leben zu genießen. Lächerlich!»
    «Durchaus nicht. Sogar dir kann nicht entgangen sein, wie verändert sie in der letzten Zeit aussah. Es kam so nach und nach in den letzten sechs Monaten. Es schien, als laste etwas Furchtbares auf ihr. Im übrigen hast du ja eben selbst zugegeben, dass sie an Schlaflosigkeit litt.»
    «Und deine Diagnose?», fragte ich kühl. «Vermutlich eine unglückliche Liebe?»
    «Reue», sagte sie mit großem Behagen.
    «Reue?»
    «Ja. Du wolltest mir nie glauben, als ich behauptete, sie habe ihren Gatten vergiftet. Heute bin ich mehr denn je davon überzeugt.»
    «Ich finde, dass du nicht sehr logisch denkst», warf ich ein. «Eine Frau, die fähig ist, ein Verbrechen, einen Mord zu begehen, ist auch sicher kaltblütig genug, die Früchte ihrer Tat ohne schwächliche Gefühlsduselei zu genießen.»
    «Wahrscheinlich gibt es solche Frauen – aber Mrs. Ferrars gehörte nicht zu ihnen. Sie war ein Nervenbündel. Ein übermächtiger Zwang trieb sie dazu, sich ihres Gatten zu entledigen – es ist ja klar, dass die Frau von Ashley Ferrars viel zu leiden hatte.»
    Ich nickte.
    «Und seither ließ ihre Tat sie nicht ruhen. Ich kann nicht anders als sie bedauern.»
    Ich glaube nicht, dass Caroline Mrs. Ferrars bedauerte, als sie noch lebte. Jetzt aber war Caroline bereit, sich sanfteren Gefühlen, wie Mitleid und Verständnis, hinzugeben.
    Ich blieb dabei, dass ihr ganzer Gedankengang unsinnig sei, und bestand um so fester darauf, als ich insgeheim zum Teil mit ihr übereinstimmte.
    «Unsinn», gab Caroline auf meine abfälligen Bemerkungen zur Antwort. «Du wirst schon sehen. Ich wette, sie hat einen Brief hinterlassen, in dem sie alles gesteht.»
    «Sie hinterließ keinen wie immer gearteten Brief», sagte ich scharf, ohne zu überlegen, wohin mich dieses Zugeständnis trieb.
    «Oh!», sagte Caroline. «Du hast also danach gefragt! Ich glaube, im tiefsten Innern deines Herzens denkst du doch ganz wie ich.»
    «Die Möglichkeit eines Selbstmordes muss immer in Erwägung gezogen werden», erwiderte ich abschwächend.
    «Wird es eine Untersuchung geben?»
    «Mag sein. Es kommt darauf an. Wenn ich mit voller Überzeugung erklären kann, dass die Überdosis einem unglücklichen Zufall zuzuschreiben ist, wird vielleicht auf eine Untersuchung verzichtet werden.»
    «Und bist du vollkommen überzeugt?», fragte meine Schwester listig.
    Ich antwortete nicht und stand auf.

2
     
    E he ich weiterberichte, was Caroline und ich b e sprachen, ist es vielleicht angebracht, eine Art Ortsbeschreibung zu geben. Unser Dorf King’s Abbot unterscheidet sich kaum von anderen Dörfern. Die nächste große Stadt, Cranchester, liegt neun Meilen entfernt. Wir haben einen großen Bahnhof, ein kleines Postamt und zwei miteinander konkurrierende Ladeng e schäfte. Außerdem gibt es bei uns viele unvermählte D a men und pensionierte Offiziere. Unsere Zerstreuung und Erholung lassen sich mit dem einen Wort «Klatsch» z u sammenfassen.  
    In King’s Abbot gibt es nur zwei bedeutende Häuser. Das eine ist King’s Paddock, das Mrs. Ferrars von ihrem verstorbenen Gatten erbte. Das andere, Fernly Park, gehört Roger Ackroyd. Ackroyd hat mich seit jeher interessiert, denn er war der Inbegriff eines englischen Landjunkers.
    Natürlich ist Ackroyd kein wirklicher Landjunker; er ist ein außerordentlich erfolgreicher Fabrikant – wenn ich nicht irre, von Wagenrädern. In den besten Jahren, gesund und von liebenswürdiger Lebensart. Ein Herz und eine Seele mit dem Vikar, spendet er sehr freigebig für den Kirchenfonds (trotz aller Gerüchte, dass er in persönlichen Ausgaben außerordentlich geizig sei), unterstützt Kricket-Wettspiele, Klubs für junge Männer und den Veteranenverein. Er ist wirklich Haupt und Herz unseres friedlichen Dorfes King’s Abbot.
    Als Roger Ackroyd einundzwanzig Jahre alt war, verliebte er sich in eine schöne, fünf bis sechs Jahre ältere Frau und heiratete sie. Sie hieß Paton, war Witwe und hatte ein Kind. Die Geschichte dieser Ehe war kurz und schmerzlich. Mit einem Wort, Mrs. Ackroyd war Trinkerin. Vier Jahre nach der Heirat brachte dieses Laster sie ins Grab.
    Als sie starb, war das Kind sieben Jahre alt. Heute ist es fünfundzwanzig.
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