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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX
Autoren: Joel Ross
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Titus Oates ein, der mit nacktem Oberkörper hinten an einen Karren angebunden wurde, und dann hat man ihn ausgepeischt, von Aldgate bis New …«
    Sie fuhren an Cripplegate vorbei und hielten dann an. Von hier aus, sagte Sonder, müssten sie zu Fuß gehen. Sie hörten den Verkehr in der Ferne, das betrunkene Gelächter von Soldaten, eine Wagentür, die zugeworfen wurde, den Schrei eines Nachtvogels.
    Sonder führte sie auf eine Abdeckerei, einen Totenacker. Grabsteine erhoben sich wie abgebrochene Zähne, darunter, tief in der Erde, die Knochen und das restliche Gekröse. Dahinter schlossen sich eine alte, eingefallene Treppe und eine Mauer an.
    »Das ist unser Tag, um den Wall zum Einsturz zu bringen«, sagte Sonder. Er schaltete eine Verdunkelungstaschenlampe an, deren Strahl so fahl war wie die Schatten. Oben auf der Treppe lagen lange Planken, mit deren Hilfe man über einen Spalt zum nächsten Gebäude steigen konnte, einer ausgebombten Ruine ohne Dach, halbverschütteten Böden und Außenmauern, von denen kaum noch was übrig war. Sie zogen die Planken hinter sich ein. Das Gebäude roch nach feuchter Kohle, im Mondlicht waren verrußte Umrisse im Mauerwerk zu sehen. Sonder las irgendein Gekritzel auf dem schuttbedeckten Boden, und sie gingen zu einem Eckzimmer, das einst ein Büro gewesen war. Sonder blieb an der Tür stehen, ein breites Lächeln zog sich über sein Gesicht. »Hannelore?«, rief er. Noch nicht einmal die Asche rührte sich. Sonder trat ein, wühlte unter einem Schreibtisch mit drei Beinen und fand einen roten Koffer und einen Haufen gelber Blumen. Er stellte den Koffer auf den Tisch und steckte sich eine Blume ans Revers.
    »Wir warten auf eine Schnecke?«, fragte Renard.
    »Leider, Mr. Renard, haben wir keine Zeit zum Warten.«
    Sonder zog den Koffer näher und ließ die Schließen aufschnappen. Darin befand sich ein Funkgerät. »Alles in Ordnung. Sie muss zu dem Schluss gekommen sein, dass sie anderswo gebraucht wird. Das arme Mädchen – es dürfte ihr gar nicht gefallen, wenn sie das hier verpasst.«
     
    Highcastle fuhr in einem Funkpeilwagen mit. Scheiß auf die Vorschriften. Sollte Illingworth sich mit der Zentrale rumschlagen, gab dort sowieso nichts zu tun, und woanders auch nicht. Der Mond war mattgrau. Die Peilwagen waren überall, in London schwirrte es nur so von Funkwellen – hier nach einer einzelnen Übertragung zu suchen war, als wollte man im ganzen verdammten Meer nach einem Salzkorn Ausschau halten.
    Highcastle saß hinter einem Mann, der sich den Kopfhörer wie eine Hörhilfe ins Ohr gestopft hatte, der die Funkantenne hin und her drehte und an der Feldstärkeeinstellung spielte. Er war nervös oder verzweifelt. Er sollte verzweifelt sein. Ihm sollte himmelangst sein. Highcastle jedenfalls erging es so.
    Die Antenne war mit einem Kompass gekoppelt, der die Einfallsrichtung anzeigte, in der das illegale Signal lag. Hatten sie zwei solcher Positionslinien, konnten sie auf einen Punkt schließen. Wenn sie verdammt großes Glück hatten, wenn sie genau den einen verfaulten Fisch in ganz Billingsgate fanden. Aber die Wahrscheinlichkeit lag bei 108 zu 1. Es gab nichts, was die Nazis von der Übertragung des Funkspruchs abhalten konnte.
    Hätte Sondegger aufknüpfen sollen, als die Gelegenheit dazu bestand. Abendammer würde senden, aber Rupert wäre dann noch am Leben. So viele würden jetzt sterben müssen: Whiskbroom und seine Familie. Lady Harriets Frauen, alle Agenten, die noch im Einsatz, die noch am Leben waren. Und, schlimmer noch als der Tod der Agenten, auch das Zwanziger-Komitee würde fallen.
     
    Bibbernd lehnte Tom am Kühlschrank. Seine Brust war blutdurchtränkt, sein Schweißgeruch vermischte sich mit dem Gestank von Verfaultem, von Innereien. Nur sein schwerer Atem war zu hören. Sie waren fort.
    Er stieß das Jackett von sich. Das Messer hatte den Stoff durchbohrt und steckte in dem von Zeitungspapier umwickelten Paket, das er sich in die Innentasche geschoben hatte – ein dickes Steak und eine schimmernde Schweineniere. Die Klinge war nur etwa zwei Zentimeter in seine Brust eingedrungen. Gesegnet seien Harriet und ihre bereits vergammelten Steaks und Nierchen.
    Die Schnitte an Schulter und Bauch brannten, sein Kopf dröhnte. Er zog sich das klatschnasse Hemd von der Haut und betrachtete den Brustkorb. Ein dünner Einschnitt unter dem Brustbein, nicht zu tief, trotzdem blutete er heftig. Er kam auf die Beine, schwankte, wurde aber nicht ohnmächtig. Im
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