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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX
Autoren: Joel Ross
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überging. Aber selbst das konnte sie in ihrem erregten Zustand ignorieren. Erneut ließ sie sich die Nachricht durch den Kopf gehen. Sie hatte noch nie einen Yankee kennen gelernt, zumindest nicht richtig. Thomas Wall. Vielleicht würde sie ihn Tommy nennen.

2
 
1. Dezember 1941, früher Morgen
    Thomas Wall erwachte aus einem Zustand, der wenig mit Schlaf zu tun hatte. Die Nachttischlampe schmierte fahles Licht an die gemusterte Decke und die verschrammten Holzpfosten des Bettes. Er setzte sich auf, das Zimmer drehte sich um ihn. Er klammerte sich an die Matratze, und als ihm der Schmerz in die bandagierte rechte Hand schoss, stockte ihm der Atem.
    Brüchige Erinnerungen an einen Fiebertraum blitzten auf und waren verschwunden. England. Er war in London. Im Rowansea Royal Hospital – in einem Krankenhausschlafsaal, einem Irrenhaus, in dem sich einst die Granatenschock-Opfer, die menschlichen Wracks des Weltkriegs, bis unter die Decke gestapelt hatten. Jetzt trommelte eine neue Generation lauthals gegen die Tore, nachdem sich die Armeen von Churchill und Hitler, nur getrennt durch den schmalen Ärmelkanal, gegenüberstanden.
    Tom hatte ein Bett und einen halbprivaten Alkoven, dazu die Zwangsgesellschaft von hohläugigen Männern, die so steif und zerbrechlich wirkten wie Vogelscheuchen. Alles, was er brauchte, waren Zeit, Ruhe, Kühle, Dunkelheit. Er brauchte Schlaf. Hatte zwei Tage nicht geschlafen und …
    Jemand kam. Er hörte Schritte auf dem Kachelboden, die die schnarchenden und röchelnden Insassen übertönten. Tom wandte den Kopf. Das Licht vom Flur blendete, leuchtete wie ein tödliches Signalfeuer in tödlicher Nacht. Der Einsatz. Die Evakuierung. Der Flugplatz auf Kreta. Er hob die bandagierte Hand, um die Augen zu beschatten, und hörte das Rascheln eines Rocks.
    »Harriet?«, sagte er.
    »Noch immer wach, mein Lieber?« Eine Schwester, matronenhaft, geschäftig.
    »Das sind wir beide, Sie und ich, Mrs. Harper. Den Verderbten ist keine Ruhe vergönnt.«
    »Den Müden, Mr. Wall. Den Müden ist keine Ruhe vergönnt.«
    »Denen auch – aber woher wollen Sie und ich das schon wissen?«
    Sie schnalzte mit der Zunge. »Na, scheint ja schon wieder aufwärts zu gehen!«
    Aber es ging nicht aufwärts. Es ging überhaupt nichts. Er war wiederhergestellt – sah man von der Hand ab –, aber er blieb im Irrenhaus und fabrizierte Scherenschnitte. Alles, was er brauchte, waren Ruhe und Schlaf und … Earl. Er brauchte Earl. Earl war eine wandelnde Zeitbombe, die nur er entschärfen konnte.
    »… geht schon auf sieben zu«, sagte die Schwester. »Und Sie bekommen diesen Morgen doch Besuch.«
    »Sieben? Es ist Morgen?« Auch hier Orientierungslosigkeit, weil die Verdunkelungsvorhänge die Morgendämmerung aussperrten.
    Dann erst kamen ihre restlichen Worte bei ihm an: »Was? Ich bekomm was ?«
    Wieder schnalzte Mrs. Harper mit der Zunge. »Leise! Sie wecken ja noch die anderen.«
    Er bekam Besuch. Seine Familie lebte in den Staaten. In England gab es nur Earl, Harriet und Chilton. Chilton, nein. Harriet, nie und nimmer. Earl? Er brauchte eine Waffe. Er brauchte seinen Colt. Er brauchte seine BAR, müsste das Zweibein umlegen und draufhalten, bis die Mündung glühte. Er zog die Decke weg. Die rechte Hand unter dem Verband pochte.
    »Immer mit der Ruhe, mein Lieber«, sagte Mrs. Harper. »Sie werden nie gesund, wenn Sie sich so hetzen.«
    »Was für ein Besucher? Ein Amerikaner?«
    »Sie wissen, was der Direktor sagt, Mr. Wall – immer ruhig Blut.« Sie zog die Vorhänge vom Alkoven, ein Murmeln ging durch den Raum, als das Licht hereinsickerte. »Ich hab’s ihnen immer wieder gesagt. Keinen Besuch. Aber wer hört schon auf eine alte Schwester, die die Burschen schon seit der Aisne pflegt?«
    »Ich bin die Ruhe selbst«, sagte Tom. »Ich bin diensttauglich. Was für ein Besucher?«
    »Ein Gentleman von der Home Guard … Behauptet er jedenfalls. Hat nach Mitternacht angerufen, ich bitte Sie! Ich hab ihn natürlich abgewimmelt. Er wird um halb acht eintreffen, wir müssen uns also rasieren und anziehen, Mr. Wall.«
    »Er ›behauptet‹, von der Home Guard zu sein?«
    »Ein Mr. Davies-Frank, steht auf seiner Visitenkarte. Brandbekämpfung … oder etwas in der Richtung.«
    »Davis Frank?«
    Sie bedeutete ihm, still zu sein, und führte ihn hinaus in den breiten Gang. Alle sechs Meter war eine Tür in der Wand, und alle drei Meter waren – falls Feuer ausbrach – Sandsäcke aufgebaut.
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