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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX
Autoren: Joel Ross
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»Mr. Davies-Frank«, sagte sie. »Ein Gentleman Ihrer Generation, und warum er nicht in Uniform ist, weiß ich nicht zu sagen.«
    »Also kein Amerikaner«, sagte er. Nicht Earl.
    »Durch und durch britisch, unser Mr. Davies-Frank, und mit einem Akzent, mit dem man Kastanien rösten könnte. Nicht
wie …« Mrs. Harper schüttelte den Kopf. »Ich will kein Wort gegen euch Amerikaner hören, aber wenn ihr nicht gegen die Deutschen kämpft, wird der König sicherlich weiterhin Botschafter Winant beknien müssen, damit dieser seine Meinung ändert.«
    »Dieser Davies-Frank, hat er Botschafter Winant erwähnt?«, fragte Tom. »Die Botschaft?« Wo Earl arbeitete – wenn er nicht woanders arbeitete.
    »Also, jetzt, Mr. Wall«, sagte die Schwester. »Nichts mehr davon, wenn ich bitten darf.«
    Sie sperrte eine Tür auf und führte ihn an der Kapelle und den aufgestellten Fahnen vorbei. Vier von ihnen waren amerikanische Flaggen, 1814 erobert, als die Briten das Weiße Haus in Brand setzten. Einige der Alten zogen Tom mit den eroberten Flaggen auf, also tat er so, als wären sie Veteranen aus dem Krieg von 1812, wofür er mit einem zahnlosen Greisenlächeln belohnt wurde.
    Mrs. Harper führte Tom zum Direktoriumsflügel und schloss eine letzte Tür auf. »Ende des Ausflugs, Mr. Wall. Waschen und rasieren Sie sich und ziehen Sie sich an. Ich werde Mr. MacGovern sagen, dass er Ihnen eine Kleinigkeit zu essen bringt. Brauchen Sie noch etwas?«
    »Dass Sie mir den Rücken schrubben?«
    Amüsiert schnalzte sie mit der Zunge und war verschwunden.
    Hinter der Tür lag ein kleines, ordentliches Schlafzimmer. Auf dem Bett war ein Anzug ausgebreitet, eine schmale Holztür führte zum angrenzenden Badezimmer. Drinnen lag Rasierzeug, ein altmodisches Messer mit einem hübschen Elfenbeingriff. Was zum Teufel sollte das? Einem Insassen ein Rasiermesser statt einer Sicherheitsklinge in die Hand zu drücken?
    Er konnte nicht denken. Sein Verstand war tranig, so erschöpft wie sein Körper. Er wollte schlafen, er wollte Earl, er wollte Harriet …
    Sich mit der linken Hand zu rasieren war schwierig genug, noch heikler war es mit einem Rasiermesser. In der schlimmsten Phase war er von einem Mädchen rasiert worden. Daran erinnerte er sich. Er erinnerte sich, dass ihr Atem nach Lakritz roch und ihre Vorderzähne schief standen, und sie hatte über seine Galanterien gelächelt, als müsste sie nicht tagein, tagaus unzählige solche Schmeicheleien über sich ergehen lassen, von unzähligen gebrochenen Männern, die unbedingt beweisen wollten, dass sie wieder auf dem Damm waren.
    Er schnitt sich am Kinn, schnitt sich an der Wange. Zog sich aus und stellte sich unter die Dusche, bis der Gestank des Schlafsaals verschwunden war. Das Wasser war kalt und prickelnd – es erregte ihn, er spürte, dass er noch da war, dass sein Körper noch funktionierte, wenn es sein musste. Er trocknete sich ab. Schüttete eine Schale Seifenwasser auf den Fliesenboden und ließ das Rasiermesser auf dem Waschbeckenrand liegen.
    Er kleidete sich an. Der Anzug gehörte ihm – er hatte ihn letztes Jahr gekauft, in der Burlington Arcade, bevor sie von einer Bombe getroffen worden war. Im Jackett steckte keine Brieftasche, kein Geld, nichts. Ein leerer Anzug für einen leeren Menschen.
    Die Tür ging auf, und MacGovern kam herein. Er war groß, gebeugt wie Ichabod Crane, mit knochigen Schultern und einem ausgemergelten Gesicht. Er war stärker, als es den Anschein hatte, und waltete mit brutaler Jovialität über die Männer.
    »Na, Sie haben sich hübsch gemacht«, sagte MacGovern und stellte ein Tablett auf den Nachttisch.
    Tom ignorierte den Tee und die trockenen Kekse. »Hmm.«
    »Sie sehen aus wie ein kleiner Schiffsjunge, der in seinem eigenen Anzug herumschwimmt.«
    »Da haben Sie Recht, Mac.«
    »Audienz beim König, hab ich den Jungs gesagt. Also, was wollen die von Ihnen?«
    »Mein Rezept für Kaffeekuchen.«
    Mac gab ihm einen Rempler. »Ihnen eher eine blutige Lippe verpassen. Hab gehört, der Kerl hat aus dem Kriegsministerium angerufen. Oder gehört er zur Spezialabteilung von Scotland Yard?«
    »Zur berittenen Wache. Wollen Sie mitkommen? Sie sind auf der Suche nach einem Esel.«
    »Besser als ein lahmer Köter. Verfluchter einarmiger
Yank …«
    Tom sagte »Hmm« und schlüpfte in die Schuhe. Nichts würde Mac beschwichtigen, nicht, wenn er das Gefühl hatte, Toms Vorzugsbehandlung untergrabe seine Autorität – eine Rasur, eine Dusche und eine
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