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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX
Autoren: Joel Ross
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und Bombern eingeschmolzen. Dort, wo das Geländer gestanden hatte, waren lange, öde Furchen zu sehen. Die vordere Hälfte der Fläche war in Gartenparzellen aufgeteilt. Aus dem Holz, das man aus zerbombten Gebäuden beschafft hatte, war ein Schweinestall gezimmert worden, dahinter pickten Dutzende von schwarzen Leghorns und roten Rhodeländern im Dreck. Bei einem Sperrballon – silbermatt gestrichen und innerhalb eines weiten Drahtovals angebunden – bildeten ein schnurrbärtiger Corporal und seine Mannschaft mit einer Mischung aus Effizienz und Koketterie ihre Nachfolger aus, ein Dutzend Frauen der WAAF, der Women’s Auxiliary Air Force. Etwas Häuslich-Gemütliches lag über der Szene, was Tom dazu veranlasste, langsamer zu werden, um schließlich ganz stehen zu bleiben.
    Der morgendliche Wind wehte den durchdringenden, beruhigenden Geruch der Schweine herüber. Ein Grüppchen englischer Frauen grub auf den Parzellen den Boden um und unterhielt sich über Mr. Middletons Rundfunksendungen zum Gartenbau. Eine zierliche Frau fuhr auf einem Milchkarren über die Allmende, das Pferd wieherte. Zwei Büromädchen kicherten über einer Packung Zigaretten. Einfache Mädchen, und hübsch anzusehen.
    Er wollte nach dem Weg fragen. Er wollte sie lächeln sehen. Aber wenn er sie ansprach, würden sie wissen, wer und was er war – ein neurotischer, unter Schlafmangel leidender Entlaufener aus dem Rowansea.
    »Fünfunddreißig Mädchen!«, sagte die Brünette und zündete sich hinter der schützenden Hand der anderen die Zigarette an. »Bei drei Verehrern pro Mädchen …«
    »Im Martyn’s wären es drei Mädchen auf einen Verehrer!«
    Wieder kicherten sie, und die Brünette sah mit plötzlich forschem Blick zu Tom. »Kippe gefällig?«
    »Ich hab mich verlaufen«, sagte er. »Bin auf der Suche nach einer U-Bahn in die Innenstadt.«
    »Kanadier?«, fragte die Brünette. »Hör ich immer gleich raus. Kann nur nicht zwischen Neuseeländern und Australiern unterscheiden – die klingen immer gleich, was?«
    Er lächelte. »Amerikaner, eigentlich.«
    »Eagle Corps!«, kreischte die Blonde. »Und auch noch verwundet!«
    Sie klang so erfreut, dass er erneut lächeln musste. Das Eagle Corps bestand aus amerikanischen Piloten, die sich trotz der Neutralitätsverpflichtung – und zur Hölle mit den Isolationisten zu Hause – freiwillig zur Royal Air Force gemeldet hatten.
    »Ganz gewöhnliche Armee, Miss«, sagte er. »Beim Kamelkorps – der Infanterie.«
    »Dann besteht die ganze Armee aus Ihnen? Es sei denn, die Staaten wären letzte Nacht in den Krieg eingetreten.«
    »Bin nach Kanada und hab auf der gestrichelten Linie unterschrieben. Ich gehöre jetzt zum Commonwealth.«
    »So viel also zum Aufstand der amerikanischen Kolonialisten!«
    »Dem Unabhängigkeitskrieg«, korrigierte er streng, und alle drei lachten, worauf er sich vollends daneben fühlte. Es war ein heiterer, klarer Tag. Der kalte Wind strich ihm über das Gesicht. Er lächelte den Mädchen zu und hörte nicht, was sie sagten. Alles, woran er sich noch klammern konnte, war seine Eile, und auch die schwand zusehends. Wenigstens konnte er sich noch annähernd normal benehmen, er konnte sich durchschlagen, ohne Argwohn zu erregen. Sie sagten ihm, er solle den Bus 16 bis zum Bus 88 nehmen, oder gleich mit dem Zwölfer durchfahren. Sie erzählten ihm, sie konnten beim örtlichen Tabakladen keine Woodbines kaufen, der Händler verkaufe nur an Männer, sie mussten daher am Morgen erst zwanzig Minuten laufen, um an ihre Woodies zu kommen.
    Sie erklärten ihm, worüber sie so kicherten, einen Artikel in der Zeitung: »Fünfunddreißig Mädchen in der Stadt haben ihre Hutschachteln und Andenken durchwühlt«, sagte die Brünette. »Und ihre alten Liebesbriefe ausgegraben …«
    »Ackern für den Sieg!«, sagte das andere Mädchen und kicherte wieder.
    »… ihre alten Liebesbriefe ausgegraben und sie für die Rohstoffwiederverwertung gespendet, aber wie viele Verehrer muss man denn haben, auch wenn man zu fünfunddreißigst ist, damit sich das nur einen Deut auf den Krieg auswirkt? Sogar Daph hier bringt nicht mehr als vier oder fünf zusammen …«
    Daph kreischte auf, und Tom lächelte zurückhaltend. Es war, als würde er alles aus drei Metern Höhe wahrnehmen, als sie ihn fünf Straßenzüge weit begleiteten und dann zur Bushaltestelle deuteten.
    »Dort ist Ihr Bus«, sagte das Mädchen. »Aber er fährt vom Rowansea weg. Ist das wirklich die Richtung, in die Sie
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