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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX
Autoren: Joel Ross
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ertönte zwischen den Sträuchern des angrenzenden Grundstücks. »Niemand daheim.« Sie war eine ältliche, elfenhafte Frau mit einem roten Kopftuch und einer Blechkanne, die sie mit ihrer knöchernen Hand am Henkel hin und her schwang.
    »Ja.« Natürlich war niemand daheim. Hatte er geglaubt, Earl würde sich den Tag freinehmen? »Er muss im Büro sein.«
    »Sie meinen die amerikanische Botschaft«, sagte die Frau.
    »Er ist zweiter Amtsgehilfe des Staatssekretärs von irgend so ’nem Dingsbums, glaub ich. Und sie natürlich eine FANY.«
    Die First Aid Nursing Yeomanry, Frauen, die Krankenwagen fuhren und Laster beluden – und für die SOE arbeiteten, die Special Operations Executive, von der aber nur wenige wussten, dass es sie überhaupt gab. »Eine reizende junge Frau, und das sag ich nicht einfach so. Keiner von beiden ist im Augenblick hier. Sie ist vielleicht bei seiner Lordschaft. Lord Chilton hat
ein … Pardon?«
    »Nichts. Hab ich was gesagt?«
    »Ich dachte doch.«
    »Gut, Chilton.«
    »In der Tat.« Sie stellte die Gießkanne ab. »Und er – ich meine ihren Ehemann, nicht ihren Vater – ist nicht selten auf Geschäftsreise. Ich hab ein Auge drauf, heutzutage kann man ja nicht vorsichtig genug sein – außer natürlich, man ist übervorsichtig, meinen Sie nicht auch? Zu viel Vorsicht ist genauso gefährlich wie zu wenig. Gott segne den König, dass er sich geweigert hat, nach Windsor zu flüchten … und auch die Königin. Sie wissen ja, man hat ihr geraten, London zu verlassen.«
    »Mir erzählt keiner was«, sagte er und ging durch das Tor.
    »Oh!«, sagte sie, als es ihr plötzlich auffiel. »Sie sehen ihm sehr ähnlich. Hätte ich gleich bemerken müssen, aber meine Augen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.«
    »Nichts ist mehr, was es mal war«, sagte Tom.
     

3
 
1. Dezember 1941, Morgen
    Rupert Davies-Frank saß im Rowansea Royal Hospital im Büro des Direktors und hätte den Überbringer der Nachricht am liebsten erwürgt. »Er ist fort?«, fragte er. »Zwischen meinem Anruf letzte Nacht und meiner Ankunft heute Morgen?«
    »Er hat sich für Ihren Besuch zurechtgemacht«, sagte der Direktor. »Und ist dabei einem Pfleger zu Leibe gerückt.«
    »Wann ist er ausgebrochen?«
    »Ausgebrochen?« Die buschigen Brauen des Direktors gingen nach oben. »Keineswegs. Häftlinge brechen aus. Aber Patienten? Doch sicher nicht.«
    Davies-Frank wartete mit unbewegter Miene. Sollte er Sergeant Wall heute nicht finden, könnte die ganze Sache in sich zusammenstürzen.
    »Allerdings«, sagte der Direktor, »hat er sich … ähm, davongemacht. Oder sich abgesetzt.«
    »Wie lange ist es her, dass er sich davongemacht oder abgesetzt hat?«
    »Keine halbe Stunde.«
    »Hat er erwähnt, wohin er wollte?«
    »Nicht dass ich wüsste. Allerdings habe ich noch nicht mit Mr. MacGovern gesprochen – dem Pfleger.«
    »Er ist hoffentlich nicht schwer verletzt?«
    »Mehr verschreckt als verletzt. Man kümmert sich jetzt um ihn.«
    »Ich muss mit ihm sprechen. Und mit allen anderen, die in letzter Zeit mit Sergeant Wall Kontakt hatten.« Ein Gedanke kam ihm. »Hat die Neuigkeit von meinem Besuch ihn dazu bewegt, sich davonzumachen? Er ist doch erst fort, als er hörte, dass ich komme?«
    »Mir scheint, er hat lediglich die Unterbrechung des gewohnten Tagesablaufs genutzt. Ihr Besuch lieferte nicht den Grund, sondern sozusagen die Gelegenheit. Als uns Mr. Wall das letzte Mal verlassen hat …«
    »Das letzte Mal?«
    Diese Information fehlte im hastig zusammengestellten Bericht, den Davies-Frank um Mitternacht überflogen hatte.
    »Er hat das schon mal gemacht?«
    »Mr. Wall war in Griechenland im Einsatz. Er war ziemlich angeschlagen, als er bei uns eintraf, nicht nur körperlich.«
    »Und er hat sich abgesetzt?«
    Der Direktor nickte. »Kurz nach seiner Ankunft. Sechs Monate Kampfeinsatz, Mr. Wall war Gruppenführer und der einzige Überlebende …«
    »Wie lang war er damals fort? Nein – wo hat man ihn gefunden?«
    Der Direktor schlug eine mit Karteireitern versehene Akte auf, die auf seinem Schreibtisch lag. »Muss ich nachsehen. Man wollte ihn nach der Evakuierung Kretas in die Staaten bringen. Aber er untersteht dem Militärgesetz, und …«
    »Direktor«, unterbrach Davies-Frank in mildem Tonfall.
    »Ich muss wissen, wohin er damals ist, und ich muss es jetzt wissen.«
    »Hab’s gleich.« Er blätterte durch die Seiten. »Sie wissen von seiner Zwangsvorstellung?«
    Davies-Frank schüttelte den Kopf,
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