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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX
Autoren: Joel Ross
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aber bevor er etwas sagen konnte, klopfte der Direktor mit seinem dicken Finger auf die Akte. »Ah! Er wurde vor dem Eingang zu Burnham Chase aufgegriffen. Dort wohnt Lord Chilton. Davor war er am Shepherd Market, wo …«
    Mehr brauchte Davies-Frank nicht zu hören. Walls Zwangsvorstellung, natürlich. Tom Wall war hinter Earl her. Nun, da war er nicht der Einzige.
    »Ich muss Ihr Telefon benutzen, Direktor. Und Ihr Büro …« Davies-Frank drängte den Direktor höflich aus dem Raum und ließ sich durchstellen.
    »Ist Highcastle da … Gut, suchen Sie ihn und richten Sie ihm aus, dass Wall verschwunden ist. Vor nicht ganz einer Stunde abgehauen … Ja, zufällig weiß ich es – er ist auf der Suche nach Earl. Nein, Sergeant Wall einzufangen sollte nicht schwierig sein. Aber ihn zu verwenden …« Davies-Frank schüttelte den Kopf. Wall gegen Sondegger zu verwenden war, als würde man eine Stubenfliege auf eine Spinne ansetzen. »Wir müssen ihn nach Hennessey schaffen, bevor unser Gast seine Meinung ändert. Schicken Sie Tipcoe rein, sagen Sie ihm, er soll unseren Gast bei Laune halten, bis wir … Was?«
    Der diensthabende Offizier erklärte es ihm. Weitere Neuigkeiten. Weitere Albträume.
    »Tipcoe hat was getan?« Davies-Frank drehte sich der Magen um. »Wann?«
    Großer Gott. Was war Sondegger bloß für ein Unmensch. Davies-Frank drückte sich den Handballen gegen die Schläfe. Die ganze Kunst des Nazi bestand darin, die anderen von seiner Macht zu überzeugen – alles andere war Verschlagenheit und Tücke. Auch wenn seine Verschlagenheit von mörderischer Effizienz war. Und obwohl es ihn selbst beschämte, musste Davies-Frank sich eingestehen, dass er sich erst in aller Stille zwei Minuten vorbereitete, bevor er den Raum – die Kammer – betrat, in der Dietrich Sondegger festgekettet war. Dass er sich erst wappnen musste, bevor er sich den hellblauen Augen und der rhythmisch-sonoren Stimme stellte.
    »Sagen Sie den Leuten von der Spezialabteilung, sie sollen Tipcoe nicht zu hart anfassen«, sagte er. »Mildernde
Umstände …«
    Er atmete tief durch und entspannte die verkrampfte Hand, mit der er den Hörer hielt. Er war jemand, der auf seine Intuition hörte, und seine Intuition sagte ihm, dass alles zusammenbrechen würde.
    Der Anruf war letzte Nacht eingegangen: Sondegger würde seine Geheimnisse preisgeben, aber nur einer bestimmten Person. Davies-Frank war vom Abendessen aufgestanden, hatte den Hörer ans Ohr gelegt und war vom Ehemann und Familienvater zu einem dunklen Priester auf der Suche nach dem jungfräulichen Opfer geworden. Er versuchte die Zeit, die er im Kreis der Familie verbrachte, heilig zu halten. Er schätzte die Abende mit Joan und den Zwillingen, nicht nur ihnen zuliebe, sondern auch um seinetwillen. Falschheit gehörte zu seinem Beruf, aber sobald er sie in sein Privatleben ließ, wäre er verloren. Beim Abendessen zu sitzen, dem Geplauder seiner Familie zu lauschen gab ihm die Kraft, weiterzumachen. Dann war der Anruf gekommen und mit ihm die schrille, beunruhigende Vorahnung: Es würde nicht standhalten.
    Nein. Es würde standhalten. Er selbst würde die verdammte Sache zusammenhalten. Er teilte dem diensthabenden Offizier mit, er solle Tipcoe vergessen. »Wir brauchen Tom Wall. Informieren Sie Yard, die Home Guard … Schnappen Sie sich den Dreckskerl – es ist verdammt dringend. Nein, ich werde hier bleiben. Ich muss noch eine Akte lesen.«
    Er würde auch mit den Insassen und den Angestellten reden müssen. Er klammerte sich an Strohhalme – und unter allen Strohhalmen war Tom Wall der zerbrechlichste, derjenige, der beim kleinsten Funken sofort in Flammen aufgehen würde.
     
    Tom erkannte die Gebäude. Grosvenor Square – den man zu Ehren der US-Botschaft »Klein Amerika« nannte. Er wusste, was er zu tun hatte, aber er hatte keine Waffe. Er konnte die Augen schließen und sich das Gewicht einer Waffe vorstellen. Er konnte die Hitze spüren, die seine BAR abstrahlte und die gegen sein Gesicht und gegen seinen Hals schlug, ihm die Hände verbrannte, die Arme schmerzen ließ, während der Schweiß in den Augen stach. Langsam, im Zickzack näherte er sich der Botschaft. Er kniete sich nieder, und als er sich aufrichtete, hatte er einen zertrümmerten Ziegelstein in der Hand, dessen eine Kante abgesplittert war. Ein rotes Steinmesser. Ihm gefiel das Gewicht.
    Er setzte sich auf eine Bank. Musste sein Gehirn von den Spinnweben befreien, aber die Spinnweben waren das Einzige,
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