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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX
Autoren: Joel Ross
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habe einige Fragen zu Sergeant Wall, und man sagte mir, Sie wären genau die Richtige dafür.«
    »Nun, zur Krankheitsgeschichte wissen die Ärzte wohl mehr als ich. Aber es stimmt schon, Mr. Wall und ich sind immer gut miteinander ausgekommen. Er war immer ein Gentleman – hatte immer ein Lächeln und einen Scherz auf den Lippen, ein sehr anständiger Mensch.«
    »Mr. MacGovern sieht das vielleicht etwas anders.«
    »Mr. MacGovern ist ein unangenehmer Mensch.«
    Er neigte den Kopf. »Ich würde gern wissen, in welchem Gesundheitszustand sich der Sergeant befindet. Körperlich, geistig. Ich habe die Berichte gelesen, aber die erscheinen mir nach den jüngsten Ereignissen überholt zu sein. Erlitt er einen Rückfall?«
    »Ich kann Ihnen nur meine persönliche Meinung sagen, Mr. Davies-Frank. Ich habe keine tollen Diplome an der Wand hängen, falls Sie danach fragen sollten. Trotzdem, man kann sagen, dass meine Meinung nicht aus der Luft gegriffen ist.«
    »Ja … ich würde sie gern hören.«
    Sie sah ihm in die Augen, dann nickte sie. »Mr. Wall leidet nicht an Kriegsneurose – zumindest jetzt nicht mehr, zumindest nicht als Hauptleiden.«
    »Kriegsneurose – Granatenschock?«
    Sie warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. »Da kommen Sie einen Krieg zu spät, Mr. Davies-Frank.«
    »Einen Krieg und vier Stunden, wie mir scheint.«
    »Sie werden von mir keine Rechtfertigung zu hören bekommen«, sagte sie trotzig. »Ich weiß sehr wohl um meine Pflichten. Einen Patienten in den frühen Morgenstunden …«
    »Mrs. Harper, bitte. Es steht außer Frage, dass Sie korrekt gehandelt haben. Kriegsneurose ist also nicht sein Hauptleiden?«
    Sie hielt inne und dachte nach. »Ich will nicht sagen, dass Mr. Wall nicht die entsprechenden Symptome aufweist – Schlaflosigkeit, Paranoia, Trauer und Wut … Jetzt werde ich psychologisch, das sollte ich nicht. Ich weiß hoffentlich, wo ich hingehöre.« Die Andeutung eines Lächelns umspielte ihren Mund. »Mr. Wall nennt mich sein ›Bettpfannen-Kommando‹.«
    »Immer ein Lächeln und einen Scherz auf den Lippen«, sagte Davies-Frank. »Er zeigt also Symptome, aber sein Hauptleiden ist …?«
    »Er zeigte Symptome. Als er eingeliefert wurde, hatte er, was ich eine breitgefächerte, aber wenig gravierende Kriegsneurose nenne. Aber meiner Meinung nach war er …«
    »Auf dem Weg der Besserung?«
    »Wiederhergestellt.«
    »Klingt das, in Anbetracht seines heutigen Verhaltens, nicht ein wenig zu optimistisch, Mrs. Harper?«
    »Sie sind ihm nicht unähnlich«, sagte sie. »Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, nicht wahr? Aber er hat sich wieder gefangen. Er war wiederhergestellt. Bis zur letzten Operation.«
    »An seiner Hand?«
    Sie nickte. »Sie war nicht richtig zusammengenäht. Sein Brustkorb und sein Bein heilten, aber seine Hand … die erste Operation war kein Erfolg. Also musste er wieder auf den OP-Tisch. Die Narkose, die Operation – die haben ihn weit zurückgeworfen. Es geht ihm kaum besser als bei seiner Einlieferung.«
    Als er Monate gebraucht hatte, um gesund zu werden. Nun, das Zwanziger-Komitee konnte nicht monatelang warten – es konnte noch nicht mal bis zum nächsten Nachmittag warten. Davies-Frank empfand Mitgefühl für den Amerikaner. An der Front zu kämpfen, mit ansehen zu müssen, wie einem die Männer wegstarben. Aber Davies-Frank hatte seine eigene Last zu tragen. Seine Arbeit entschied nicht über das Leben oder den Tod eines Trupps, eines Zugs, einer Kompanie – sondern über den Ausgang einer Schlacht, über das Schicksal eines Schiffskonvois, einer ganzen Stadt. Sie war weniger persönlich, er sah nie die Gesichter der Leute, die er verlor. Aber sie trieb ihn an, trieb ihn dazu, Mitleid mit diesem armen Dreckskerl Wall zu haben, und trieb ihn dazu, in ihm nicht mehr zu sehen als ein Mittel zum Zweck.
    »Wie viel besser ist dieses ›kaum besser‹?«, fragte er.
    »Oberflächlich betrachtet nicht viel. Aber darunter? Er ist sehr viel stärker als früher. Wenn er nur eine einzige Nacht durchschlafen könnte …«
    »Würde er sich wieder fangen?«
    »Meiner Meinung nach ja.« Sie wischte sich einen imaginären Krümel vom Schoß. »Aber diese eine Nacht werden Sie ihm nicht gönnen, nicht wahr, Mr. Davies-Frank?«
    »Hätte sich Sergeant Wall nicht abgesetzt, hätte ich …«
    »Abgesetzt? Hätte er sich nicht abgesetzt ?«
    »Die Worte des Direktors«, sagte er und lächelte über ihren Gesichtsausdruck. »Ich verspreche Ihnen, wenn wir Wall
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