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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX
Autoren: Joel Ross
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Obergeschoss wühlte er in der Schublade nach dem Webley-Revolver und dem kleinen Colt mit dem Elfenbeingriff. Endlich hielt er wieder eine Waffe in der Hand. Gleich fühlte er sich sicherer auf den Beinen. Was hatten sie gesagt? Hertford Street. Er stolperte die Treppe hinunter und holte sich von der Garderobe die Schlüssel für Harriets MG. Hertford Street. Über die Park Lane oder den Piccadilly? Er fuhr blind drauflos. Auf den Straßen waren nur wenige Fahrzeuge zu sehen, die Sonne war nur noch ein schwacher Schimmer unter dem Horizont. Kam er zu spät? Nein, dort – er entdeckte das Riley-Cabrio, in dem die drei wie die Clowns reingequetscht saßen. Am Steuer saß Sondegger, der langsam und sicher durch die Straßen manövrierte.
    Tom fuhr langsam und unsicher. Er drehte auf seinem Schoß eine Munitionsschachtel um, überall verteilten sich die Patronen, dennoch gelang es ihm, den Webley zu laden, ohne sich die Kniescheibe wegzublasen. Das Glück war zu ihm zurückgekehrt.
    Er fuhr durch die dunklen Straßen. Sah Soldaten an einer Ecke – sollte er sie um Hilfe bitten? Nein, es war keine Zeit für Erklärungen, keine Zeit für Missverständnisse. Der Riley hielt an einer Kreuzung, Tom fuhr hinter einen brettervernagelten Kiosk. Seine Augenlider wurden schwer. Am liebsten hätte er sich auf dem Beifahrersitz zusammengerollt, hätte einschlafen wollen, um nie mehr aufzuwachen. Aber Sondegger fuhr weiter, und Tom folgte und ließ den Blick aufmerksam und ängstlich durch die schwarze Nacht schweifen.
    Irgendwann hielt Sondegger an. Tom hatte keine Ahnung, wie lange er hinter ihnen hergefahren war. Er fuhr an den Randstein und sah drei dunkle Gestalten über die Kreuzung gehen. Dann verlor er sie aus den Augen. Er bog in die abzweigende Straße ein und entdeckte sie erneut – wie Gespenster glitten sie über die Grabsteine. Er ließ den Wagen mitten auf der Straße stehen. Er schaffte es nicht, die Wagentür zu öffnen. Ihm war schwindlig, er verlor Blut. Er fummelte an seinem Verband herum, umklammerte die Waffe fester und zog sich aus dem MG. Taumelnd erreichte er den Friedhof und stieg über ein Dutzend Steinstufen zu einem Treppenabsatz hinauf. Er endete im Nichts. Zurück, andersherum, dort entdeckte er, zwei Meter vom angrenzenden Gebäude entfernt, eine Öffnung, ein klaffendes Loch, das von der Bombenexplosion in die Wand gerissen worden war. Großartig. Er klammerte sich an den Revolver. Die Schmerzen nahm er nur noch von ferne wahr. Zum Teufel, er würde sowieso nicht ewig leben. Er sprang zum nächsten Gebäude und landete laut und vernehmlich auf dem Boden. Der Webley in seiner Linken schien mindestens fünf Kilo zu wiegen. Er kroch voran, mucksmäuschenstill jetzt.
    Sondeggers Stimme hallte von den verkohlten Wänden und dem rußgeschwärzten Boden wider. »Die guten Neuigkeiten, Thomas, sind, dass Sie genau am rechten Ort sind. Die noch besseren, dass ich in diesem Moment die Funkübertragung vorbereite. Die Zeit läuft Ihnen immer mehr davon.«
    Tom folgte mit erhobenem Revolver den Fußspuren am Boden. Er musste den Funkspruch verhindern. Die Spuren führten zu einem Eckraum. Er trat in das nebenan liegende Zimmer, um ihnen in die Flanke zu fallen. Das Atemgeräusch hörte er einen Augenblick zu spät, im selben Moment wurde, zwanzig Zentimeter von seinem Ohr entfernt, der Hahn eines Revolvers gespannt. Er erstarrte. Sein Webley war nutzlos. Sie waren nicht im Eckraum. Die Spuren am Boden waren eine falsche Fährte gewesen. Renard stand links neben ihm, er hatte ein Messer in der Hand. Rugg zu seiner Rechten mit einem Kaliber 38. Sondegger stand über ein Funkgerät gebeugt.
    »Legen Sie die Waffe ab«, sagte Sondegger. »Ich möchte Lärm vermeiden, aber ich habe hier meinen Part ebenfalls zu Ende zu spielen. Mr. Rugg, erschießen Sie ihn, wenn er nicht …«
    Tom ließ den Webley fallen und hob die Hände. »Wo ist Abendammer?«
    »Keine Sorge, ich werde selbst funken.« Sondegger klopfte rhythmisch auf das Gerät. »Es befindet sich in einem ganz ausgezeichneten Zustand.«
    Toms linke Hand war so leer wie sein Kopf. Um die Rechte schlängelte sich der lose Verband. Er sah zu Rugg, seine verletzte Hand pochte und juckte und war nur knapp dreißig Zentimeter vom Kinn des großen Mannes entfernt.
    »Wenn Sie mich nun entschuldigen wollen«, sagte Sondegger. »Ich habe eine Meldung zu übertragen. Vielleicht interessiert es Sie ja, sie zu hören. Es scheint nämlich, dass das Netz der Abwehr in
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