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Alexander

Alexander

Titel: Alexander
Autoren: Klaus Mann
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bäumte er sich. Sein Fieber stieg, er schrie, phantasierte, schlug um sich. Das Gerücht, er sei vergiftet worden, verbreitete sich; viele behaupteten, von Roxane, die ihm beim letzten Gastmahl Wein eingegossen hatte.
    Die Soldaten wollten ihn sehen, man mußte lügen und trösten. Die Armee kam sich betrogen vor, wenn er starb, sie faßte es als ungehörige Übervorteilung auf. Nur unter der Voraussetzung, daß er lebe, hatten sie dies alles mitgemacht. Was sollten sie in Babylon, ohne ihn? – Jedem, der zum Fürsten sich ihnen anbot, mißtrauten sie, dem Perdikkas und dem Krateros. Am ehesten hatte man noch für den armen Arrhidaios Sympathien, der so unerklärlich wieder aufgetaucht war; der war immerhin der Halbbruder ihres Königs.
    War Alexander bei Besinnung, wünschte man ihm beinah seine Fieberphantasien zurück; denn es stand traurig. Von den Angelegenheiten des Reiches durfte man ihm nicht sprechen; es gab Unruhen in Indien, neuen Skandal in Athen, Verwaltungsschwierigkeiten in Ägypten, aber er mochte nichts hören. Angewidert winkte er ab.
    Hingegen dachte er mit einer melancholischen Hartnäckigkeit an Dinge, die alle aus seiner Umgebung vergessen hatten. »Erinnert ihr euch?« fragte er immer wieder. »Damals in Anchiale haben wir doch auf einer Königsstatue den Spruch gefunden: ›Anchiale und Tarsos hat Sardanapal an einem Tag gegründet, du aber, Fremdling, iß, trink, liebe! Was sonst der Mensch hat, ist nicht der Rede wert.‹« Auf diesen traurigen Spruch kam er immer wieder zurück. »Und ich habe mehr, als nur Anchiale gegründet. Es ist nicht der Rede wert.« Mit geschlossenen Augen wandte er sich ab, da man ihm widersprechen wollte. »Laßt mich doch schlafen«, sagte er matt. »Lügner –« Seine Umgebung verstummte bestürzt.
    Viel und mit Schauder dachte er an das babylonische Märchen, das Kleitos erzählt hatte. »Es war überhaupt ein häßliches Märchen«, behauptete er fiebrig, »aber besonders der Schluß war so schlimm. Man wollte uns doch glauben machen, daß dieser Gilgamesch eine Zwiesprache mit seinem toten Enkidu hatte. Gilgamesch, in seiner sündhaften Neugier, fragte den Geist nach dem Zustand seiner Mitgeister, vor allem nach dem Befinden derer, die keinen Pfleger haben, – aber wer hat einen Pfleger? – Darauf antwortete Enkidu mit hohler und höhnischer Stimme: ›Im Topf Gebliebenes, auf die Straße geworfene Bissen muß er essen.‹ Seht, mehr sagte er nicht: Im Topf Gebliebenes – Ach, und wer hat einen Pfleger?« Über solchen Klagen kam der König wieder ins Phantasieren. Sein Blick verwirrte sich, und er lallte.
    Lallend redete er den Hephaistion an: »Hephaistion, sag doch, Hephaistion, bin ich wirklich gesandt, die Menschheit zu blenden und ihr weh zu tun? – Und euch allen? – Oh, – wofür dann der ungeheuere Anlauf? –« Rückwärts hingeworfen, weinte er stoßweis brüllend, aufjammernd, so daß es zuzuhören unerträglich wurde. Freunde und Ärzte verließen feig fliehend das Lager, auf dem er litt. Da durfte endlich der Engel eintreten.
    Er trug immer noch die silberne Rüstung, aber jetzt war sie blumengeschmückt. Auch im hellen Haar hatte er Blüten, die dufteten. Seine beiden Hände, die Alexanders Pfeile verletzt hatten, trug er verbunden, so daß sie dick und ungelenk schienen. An seiner schmalen Figur waren sie das einzige Plumpe und Schwere.
    »Ich komme als Bote!« rief der Engel und reckte den Arm, wie es ihm zukam – als Bote.
    »So bist du der Hermes?« fragte der verstockte Alexander, obwohl er wußte, daß er Unsinn redete.
    »Ich kenne den Namen nicht«, erwiderte der Engel hell und sehr freundlich.
    »Der Ammon?«
    »Du bist lächerlich, Alexander.«
    Wie er den Arm hob, klirrte sein ganzer Leib. Gesicht, Stimme, Haar schienen metallen. Nur Blick und Mund blühten.
    »Wohin sollst du mich führen?« stöhnte der König.
    Der Engel reckte sich noch mehr. »Du zerspringst!« schrie Alexander. »Sei vorsichtig, du zerspringst ja vor Funkelei!«
    Der Engel krachte, dröhnte und gewitterte. Alexander beklagte sich weinend: »Ich dachte, die letzte Stunde würde still und friedlich sein. Es wird doch stille, wenn man am Ziel ist. Aber du lärmst ja, daß ich erblinde. – Warum rächt sich Kleitos so abscheulich?« Er schrie plötzlich, mit emporgeworfenen Armen. »Warum, Kleitos, so arg?« Es war das erstemal, daß er des Kleitos Namen zu nennen wagte.
    »Du hast einen anderen geopfert, nicht dich!« strafte der Engel. »Du
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