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Alexander

Alexander

Titel: Alexander
Autoren: Klaus Mann
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aufsuchte. Man sah, wie mit besorgter Miene der Doktor dem Alexander etwas zuflüsterte, wie dieser, die Augen mit toter Gier auf die ringenden Burschen gerichtet, gereizt abwinkte. Kopfschüttelnd zog der Graubärtige sich zurück, um nach einer Stunde wieder zu erscheinen. Er raunte noch angelegentlicher, das ganze Volk sah es. Endlich erhob sich der König.
    Er kam zu spät. Hephaistions sanfte und geduldige Augen hatten sich schon geschlossen. Aus dem verhängten Zimmer, das der König betrat, zogen sich schüchtern weinende Frauen, bedrückte Männer zurück. Nach so langer Zeit wieder fand sich Alexander alleine mit seinem Hephaistion.
    Nur er, Alexander, zeigte sich verändert; denn Hephaistion sah wie immer aus, vielleicht noch etwas schöner. Sein ruhendes Gesicht schien im weißen Schimmer zu leuchten, auch von seinen Händen kam tröstliche Helle. Warum hatte Alexander so lang vergessen, wie freundlich dieser Freund war, wie angenehm und wie milde? Endlich wagte er ihn wieder anzureden.
    Er kniete an seinem Lager; mit einer Stimme, die zitterte, fragte er den Geliebten: »Nicht wahr, die dumme Geschichte mit dem Eumenes neulich, die hast du vergessen? – Nicht wahr?« fragte er nochmals, da der Freund nicht antwortete.
    Erst da Hephaistion auf des Königs immer dringlichere Fragen hin schwieg, begann der zu ahnen, schließlich zu verstehn. Was eintrat, war eine ungeheure Stille. Öde wuchs auf, verschlang jeden Laut, jede Farbe, fraß alle Lebendigkeit, sogar Tränen durften in ihr nicht fließen. Der König Alexander saß inmitten einer Einsamkeit, die ihn wie eine Mauer umschloß.
    Um sie zu sprengen, fing er an zu schreien. Er warf die Arme, schrie, schrie, schrie. Herbei kam Hofgesinde, Militär, Ärzte bückten sich geschäftig, Damen preßten Tüchlein ans Gesicht. Über die Leiche geworfen brüllte der König, Schaum vorm aufgerissenen Mund. Man wollte ihn halten, doch er schlug um sich, hatte blutige Augen.
    So sollte man keinen Sterblichen schreien hören, in diesem Schrei klang keine Trauer, kein menschlicher Schmerz; vielmehr eine Verlassenheit, eine Verzweiflung, wie sie uns nie zuteil wird, wie nur die verzweifelten Götter sie kennen.
    Über dem toten und so schön beruhigten Antlitz seines friedlichen Lieblings schwankte die tragische Maske seines verzerrten Gesichts, mit dem klaffenden Munde, den Augen, aus denen Blut floß, statt Tränen. Eine Nacht ging vorbei, dann der Tag, dann noch eine Nacht, noch ein Tag. Der Jammernde schlief nicht, aß nicht, trank nicht. Er schloß die Augen nicht, die schon lang nicht mehr sahen. Sein Schreien wurde zum Wimmern, sein Wimmern zum Röcheln, aber immer bewegten seine trostlosen Hände sich mit entsetzlicher Hartnäckigkeit über Gesicht, Haar, Hände, Körper des Toten.
    Die Trostworte der Vertrauten, die in seine Nähe sich wagten, schienen bis zu ihm nicht zu kommen. Schon flüsterte man sich zu, daß er den Verstand verloren habe; ihn erreichte nichts mehr, ging nichts mehr an. Nichts mehr zu tun blieb ihm übrig, als seinem Schicksal, das sich erfüllt hatte, ins Auge zu starren.
    Nach drei Tagen und drei Nächten ermattete seine Kraft, endlich fand man ihn schlafend. So hob man ihn behutsam von der Leiche, über die er noch hingestreckt lag, bettete ihn auf dem eigenen Lager. Er schlief achtundvierzig Stunden lang.
    Als er wieder erwachte, zeigte er eine veränderte Miene. Er klagte nicht mehr, er befahl. Es war, als habe er an der ganzen Menschheit Rache für Hephaistions Tod zu nehmen. Seine Anordnungen waren knapp, fürchterlich, radikal.
    Was am meisten entsetzte: der Doktor Glaukias war ans Kreuz zu schlagen. Der König ließ den um Gnade Flehenden nicht einmal vor; sein Leben, erklärte er kurz, sei verspielt, da er das des Götterlieblings nicht zu retten vermocht habe. In allen Tempeln mußten die Magier alle Feuer löschen, nicht anders, als sei der Monarch selber gestorben. Von Hephaistion durfte nur als von einem Halbgott gesprochen werden – bei Todesstrafe! ließ der König verkünden. Tanz und Gesang waren für Wochen im ganzen Weltreich, von Mazedonien bis Indien, verboten. Die Mauern der umliegenden Festungen wurden geschleift, die Esel geschoren, den Pferden die Schwänze gestutzt.
    Die exakte Einhaltung aller dieser Erlasse ließ der König mit unerbittlicher Strenge überwachen: wer etwa singend angetroffen wurde, kam auf die Folter. Inzwischen entwarf er selbst mit den Architekten den Scheiterhaufen, der dem Hephaistion
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