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Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Titel: Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
Autoren: Wolfgang Burger
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Lockenpracht entdeckte ich im hinteren Teil der Bahn. Sie hatte erfolgreich einen Platz für mich verteidigt.
    Aufatmend sank ich in die gepolsterte Rückenlehne. Wir sahen uns an. Lächelten. Kamen ohne Worte überein, dass es nicht klug war, sich in aller Öffentlichkeit zu küssen, noch dazu beobachtet von neidischen Mitfahrern, die nur einen Stehplatz ergattert hatten. Theresa trug einen eleganten, anthrazitfarbenen Wollmantel mit Kunstpelzkragen zu Bluejeans und gefütterten Stiefeln. Nicht nur, weil die Bahn voll war, rückte ich eng an sie heran. Sie ergriff meine Hand so, dass niemand es sehen konnte, und wieder einmal fühlten wir uns wie Diebe. Die Bahn stoppte alle paar Hundert Meter. Immer mehr Fahrgäste stiegen ein.
    Theresa erzählte mir von einem Telefonat mit ihrer Agentin, die hören wollte, ob sie schon eine Idee für ihr drittes Buch habe.
    »Sie meint, solche populärwissenschaftlichen Sachen mit Humor wären vielleicht eine Marktlücke. Es muss natürlich fürs gemeine Volk lesbar sein.«
    »Fürs gemeine Volk?«
    Theresa lachte und drückte meine Hand fester. »Ihre Worte, nicht meine. Carmen meint, mein Terrorismusschinken passt perfekt in die Zeit. Könnte sogar ein Renner werden, meint sie. Und dann brauchen wir natürlich schleunigst Nachschub.«
    Die Bahn hatte Heidelberg inzwischen hinter sich gelassen. Wir fuhren mit zügiger Geschwindigkeit durch dünn besiedeltes Gebiet. Dunkelbraune Felder flogen vorbei, kahle Bäume, zerzauste Hecken, ein Krähenschwarm. Inzwischen war die Sonne verschwunden, und es regnete ein wenig. Die feuchte Wärme und das Schaukeln der Bahn machten mich schläfrig. Draußen tauchten wieder Häuser auf. Friedrichsfeld, erklärte die freundliche Lautsprecherstimme. Immer noch wurde es von Haltestelle zu Haltestelle voller. Ein älterer Mann, der stehen musste, drückte mir als stummen Vorwurf sein rechtes Knie gegen die Hüfte. Ich rückte noch näher an Theresa heran. Aber er folgte hartnäckig.
    Allmählich begann ich mich zu fragen, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, das Auto stehen zu lassen. Andererseits entdeckte ich an diesem Tag einen der wenigen Vorzüge des Älterwerdens: Ich brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben, weil viele andere stehen mussten, während ich saß. Ich brauchte nicht mehr angestrengt in ein Buch zu starren, als wäre es so fesselnd, dass ich Umwelt und Anstand vergaß. Die Sitte, älteren Menschen seinen Platz anzubieten, schien ohnehin aus der Mode gekommen zu sein, fiel mir wieder einmal auf.
    Mein Handy riss mich surrend aus dem Dämmerschlaf. Es dauerte ein Weilchen, bis ich es gefunden und aus der Innentasche meines Mantels gefummelt hatte. Wieder die eifrige Kollegin mit Stupsnase.
    »Herr Gerlach, ich habe mir überlegt, der Herr Lassalle ist ja am Karlsplatz gefunden worden. Ganz in der Nähe vom Bahnhof Altstadt.«
    »Sie denken, er ist mit dem Zug gefahren?«
    »Um die Zeit gehen da keine Züge. Er ist mit dem Bus um fünf Uhr fünfundzwanzig gekommen. Ich habe eben mit dem Fahrer telefoniert. Lassalle ist in Mannheim am Hauptbahnhof eingestiegen. Da hat der Fahrer noch nicht den Eindruck gehabt, er wäre sternhagelvoll. Er hat sich hinten in die letzte Reihe gefläzt und ist praktisch sofort eingeschlafen.«
    Als ich das Handy vom Ohr nahm, fiel mir noch etwas ein. »Haben Sie schon was aus Straßburg gehört?«
    »In einem Krankenhaus liegt das Mädel jedenfalls nicht. Soll ich Ihnen sagen, was ich denke? Die hat da gestern wen kennengelernt und eine wilde Nacht gehabt. Und jetzt sitzen die zwei gerade beim gemütlichen Frühstück.«
    »Die Straßburger Kollegen sollen trotzdem ein bisschen Augen und Ohren offen halten. Ich versuche, ein Foto von dem Mädchen aufzutreiben und eine brauchbare Beschreibung.«
    Vor den inzwischen beschlagenen Fenstern sah es jetzt nach Großstadt aus. Links Industrie, rechts die SAP-Arena mit ihren Glasfronten und dem schwebenden Dach. In den Gängen der Bahn standen sich die Fahrgäste auf den Füßen. Die allgemeine Laune war eher unweihnachtlich.
    Theresa wollte wissen, wer dieses Mädchen war, dessen Namen sie eben aufgeschnappt hatte. Ich erzählte im Telegrammstil von Lea Lassalle, die vermutlich gar nicht vergessen worden war, sondern eigene Pläne verfolgt hatte. Vielleicht lag die Kollegin gar nicht so falsch mit ihrer Theorie. Vielleicht saß Lea auch längst zu Hause und fragte sich, wo ihre Eltern geblieben sein mochten. Ich erzählte auch von ihrem Vater, der in
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