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Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen

Titel: Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
Autoren: Wolfgang Burger
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ein Weilchen dauern, bis der seinen Rausch ausgeschlafen hat. Was komisch ist: An seinem Ärmel ist Blut. Er hat aber gar keine Verletzung, hat der Arzt vorhin festgestellt. Scheint nicht sein Blut zu sein.«
    »Hat die Streife sich schon gemeldet, die Sie in die Südstadt geschickt haben?«
    »Da macht keiner auf. Das Haus ist dunkel. Und die Nachbarn wissen nichts.«
    Ich beschloss, das Frühstück ausfallen zu lassen und mir Leas Vater anzusehen. Gegen Mittag würde ich mich mit Theresa treffen. Ihr Mann war das Wochenende über unterwegs, und so hatten wir gestern Abend spontan beschlossen, ihr Strohwitwendasein für einen gemütlichen Adventsausflug nach Mannheim zu nutzen.
    Die Zwillinge lärmten fröhlich im Bad. Ich leerte meine Tasse und ließ sie auf dem Tisch stehen.
    Justus Lassalle schnarchte wie ein Sägewerk, stank wie eine Schnapsbrennerei und machte zwischendurch schmatzende Geräusche. Ich rüttelte an der Schulter des in eine grobe, graue Decke gewickelten Mannes, der etwa fünfundvierzig Jahre alt sein mochte. Sein Körperbau war knochig, und er war so groß gewachsen, dass die in braunen Socken steckenden Füße über die abwaschbare Matratze hinausragten. Das rötliche Haar stand borstig vom kantigen Kopf ab. Auch die Handrücken waren dicht behaart. Leas Vater gab ein unwilliges Geräusch von sich, ungefähr wie ein großer Hund, den man versehentlich getreten hat, und drehte den Kopf zur anderen Seite.
    »Hab ich’s Ihnen nicht gesagt? Der braucht noch ein paar Stunden.« Die Kollegin, die mich informiert hatte, weigerte sich strikt, die nach Alkohol und Erbrochenem stinkende Zelle zu betreten, und beobachtete meinen sinnlosen Weckversuch durch die Tür. Sie war klein und muskulös. Ihr sandfarbenes Haar trug sie knabenhaft kurz geschnitten. Im runden Gesicht saß eine Nickelbrille auf einem leicht nach oben gebogenen Näschen.
    »Wo hat man ihn aufgelesen?«
    Sie warf einen Blick in das Protokoll, das sie in der Hand hielt. »Fünf Uhr achtunddreißig, in der Nähe vom Karlstor. Wenn Sie Genaueres wissen wollen, müssten Sie die Kollegen fragen, denen er den Wagen vollgekotzt hat. Ich habe schon lange keinen Kerl mehr gesehen, der so dermaßen besoffen war wie der da.«
    »Nich b’soff’n!«, quengelte eine heisere Männerstimme. »Nur bichen müde. Bichen müde. Noch ssu früh.«
    Leas Vater war aufgewacht. Aber die Augenlider bekam er noch nicht auseinander.
    »Es geht um Ihre Tochter«, erklärte ich laut und in amtlichem Ton. »Verstehen Sie mich? Sie ist verschwunden.«
    »Rotzkröte«, murmelte er, schmatzte befriedigt und schlief wieder ein.
    »Was ist mit dem Blut an seinem Hemd?«, fragte ich die kleine Kollegin, als sie die Zellentür von außen verschloss.
    »Am linken Ärmel. Und nicht nur ein paar Tropfen. Das Hemd habe ich vorsichtshalber sicherstellen lassen. Möchten Sie es haben?«
    Mein Handy brummte in der Brusttasche des Jacketts. »Theresa«, stand auf dem Display.
    »Alexander, wo steckst du?«, fragte sie verwundert. »Ich stehe am Bismarckplatz und warte auf dich!«
    Unsere Bahn nach Mannheim ging in fünf Minuten, wurde mir siedend heiß klar. Meine Liebste wollte shoppen, war auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken für ihren Mann und diverse Freundinnen, und ich konnte das eine oder andere neue Kleidungsstück zur Komplettierung meiner Wintergarderobe gebrauchen.
    »Ich hatte noch kurz in der Direktion zu tun«, erklärte ich eilig. »Ich steige bei der Stadtbücherei zu. Hältst du mir einen Platz frei?«

3
    Obwohl wir nun schon seit über zwei Jahren ein Paar waren, war ein gemeinsamer Stadtbummel eine neue Erfahrung für Theresa und mich. Da sie nicht nur meine Geliebte, sondern zugleich die Ehefrau meines Chefs war, hatten wir uns lange nicht als Paar in der Öffentlichkeit zeigen können. Und auch heute, nachdem sich manches verändert hatte, wollten wir in Heidelberg nicht zusammen gesehen werden.
    Mannheim dagegen schien uns ideal. Weil Theresa es romantisch fand und ich die samstäglichen Staus fürchtete, hatten wir beschlossen, die Straßenbahn zu nehmen. In weniger als drei Wochen war Heiligabend, und für den Einzelhandel war heute der erste Großkampftag im Advent.
    Als ich die Haltestelle erreichte, bremste die Bahn schon. Sie war vorweihnachtlich überfüllt. Auch andere fürchteten offenbar Verkehrschaos und Parkplatznot. Die Linie fünf empfing mich mit muffiger, nach feuchter Wolle riechender Wärme und stickiger Luft. Theresas dunkelblonde
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