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Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht

Titel: Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Autoren: Wolfgang Burger
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Staatsanwalt würde sicherlich eine Menge zu unserer Geschichte einfallen. Urkundenfälschung, Vortäuschung einer Straftat und so weiter. Alles keine Kavaliersdelikte, aber auch nichts Überwältigendes. Das Urteil würde milde ausfallen. Und ich persönlich bin der Meinung, dass Sie Ihre Strafe längst verbüßt haben.«
    »Ich büße noch«, wandte sie ernst ein. »Und ich werde es bis ans Ende meines Lebens tun.«
    »Ich nehme an, Tim und Iva sind in Serbien?«
    »In Montenegro. In einem kleinen Dorf nicht weit von Bar. Iva hat dort Verwandte. Entfernte Verwandte, die Ratko nicht kennt. Er wird sie dort nicht finden. Aber bisher hat er es offenbar nicht einmal versucht.«
    »Telefonieren Sie hin und wieder?«
    Mutlos schüttelte sie den Kopf. »Herr Pretorius sagt, sie haben kein Telefon. Aber ich denke eher, Iva will nicht mit mir sprechen.«
    Inzwischen war mir, vielleicht durch den Tee, endlich ein wenig warm geworden.
    »Möchten Sie sich nicht endlich setzen? Es ist mir unangenehm zu sitzen, während die Hausherrin steht.«
    »Mir ist es lieber so«, erwiderte sie. »Und falls Sie das beruhigt: Ich bin hier nicht die Hausherrin. Das Haus gehört Vater. Noch.«
    »Noch?«
    »Ich habe mich entschlossen, ihn entmündigen zu lassen. Es geht ihm ja offenbar ganz gut, dort, wo Sie ihn untergebracht haben. Und ich bin all dem nicht gewachsen. Hermann darf ich nicht helfen, und meinem Vater kann ich nicht helfen. Ich gehe zugrunde, wenn ich noch länger mit ihm zusammenlebe. Es geht über meine Kraft.«
    »Dann werden Sie in Zukunft ganz allein hier wohnen?«
    »Vielleicht werde ich das Haus verkaufen. Vielleicht fahre ich nach Montenegro und besuche Iva und Tim. Das Dorf ist nicht weit vom Meer. Es ist keine schöne Küste dort, hat mir Herr Pretorius erzählt. Viele Felsen, steinige Ufer und nur wenig Strand. Aber es ist das Meer. Geld werden wir genug für drei haben, das Haus ist schuldenfrei.«
    »Iva wird sich freuen.«
    »Meinen Sie?«
    »Ich bin sicher. Und vor allem Tim wird Sehnsucht nach Ihnen haben. Wann werden Sie fliegen?«
    »Ich habe mich ja noch gar nicht entschieden!«
    »Gestatten Sie, dass ich Ihnen einen Vorschlag mache?«
    Jetzt, endlich, wandte sie sich um. Sah mir fragend ins Gesicht.
    »Sie unterschreiben mir eine Vollmacht, und ich werde mich hier um alles Notwendige kümmern. Wenn Sie einwilligen, dann sind Sie Ende dieser Woche bei Ihrem Sohn. Das Wetter soll im Augenblick noch ganz gut sein an der Adria.«
    »Das würden Sie für mich tun?«, fragte sie ungläubig. »Weshalb?«
    »Ich denke, ich bin Ihnen einiges schuldig.«
    Mit müden kleinen Schritten kam sie auf mich zu, stellte die leere Tasse mit einem Rest kaltem Tee ungeschickt auf den Tisch, sank auf die vordere Kante der Couch wie ein unwillkommener Gast, der nur auf einen Sprung vorbeischaut. Eine Weile starrte sie auf ihre blassen, so zerbrechlichen Hände.
    Dann hob sie zögernd den Blick.
    »Danke dafür, dass Sie das gesagt haben«, sagte sie sehr leise und sehr ernst.
    »Dass ich Ihnen etwas schuldig bin?«
    »Nein. Dass Tim mein Sohn ist.«

30
    Mit einem Mal klappte alles wie am Schnürchen. Muriel Jörgensen unterschrieb einige Papiere und stellte mit tatkräftiger Unterstützung von Sönnchen den Antrag auf Entmündigung ihres Vaters, organisierte seine Unterbringung in dem Heim, wo er bereits zu Gast war, und schon am Freitag derselben Woche fuhr sie allein und mit wenig Gepäck nach Frankfurt, um von dort nach Podgorica zu fliegen. In der Zwischenzeit war es mir gelungen, Kontakt mit dem Polizeiposten in Pečurice aufzunehmen, dem Dorf, wo Iva und Tim sich nun schon seit zehn Wochen aufhielten. Die Kollegen, von denen einer zum Glück leidlich Deutsch sprach, stellten den Kontakt zu Iva her.
    Beim ersten Telefonat zwischen Tims Müttern war ich auf Muriels ausdrücklichen Wunsch anwesend. Iva war völlig aus dem Häuschen, Muriel weinte, Tim freute sich und weinte abwechselnd und fragte nach seiner Mama, woraufhin am Ende beide Mütter weinten. Mit dem Geld, das Muriel durch den Verkauf des Hauses mitbringen würde, konnten dort unten drei Menschen jahrzehntelang sorgenfrei leben. Noch am Telefon begannen sie, Pläne zu schmieden für ein kleines Haus mit Blick aufs Meer.
    Für uns, für die Polizei, gab es nichts mehr zu tun. Tim war dort, wo er hingehörte, bei der Frau, die ihn geboren hatte. Dass eine Mutter ihr leibliches Kind zu sich nimmt, kann man auch mit bösem Willen nicht Entführung nennen.
    So war die
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