Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht

Titel: Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
Angst?«
    »Vor …« Sein Blick flackerte. Aber er wandte ihn nicht ab. »Vor allem.«
    Durch eine halb offen stehende Tür konnte ich ins Nachbarzimmer sehen, das noch ein gutes Stück kleiner war als das, in dem wir saßen. Obwohl das Feuer im Ofen inzwischen tobte und knackte, wurde es nicht wirklich warm. Vorne glühte einem das Gesicht, während der Rücken kalt blieb.
    »Sie wohnen schon länger hier?«
    Im Dämmerlicht des Nebenzimmers erkannte ich eine blauweiß karierte Matratze am Boden, auf der eine fleckige Wolldecke und einige Lappen herumlagen, die früher einmal weiß gewesen waren.
    »Ich zahlen Miete«, nuschelte Ratko. »Nicht viel. Aber ich zahlen.«
    »Und da nebenan schlafen Sie?«
    Müde schüttelte er den Kopf. »Ich nicht schlafen. Zehn Jahre.«
    »Sie waren im Krieg?«
    Er nickte demütig. »Kosovo.«
    »Serbe oder Albaner?«
    »Serbe.« Seine Antwort war ein Geständnis.
    »Und es war so schlimm, dass Sie seither nicht mehr schlafen können?«
    Plötzlich herrschte etwas wie zaghaftes Vertrauen in dem engen, mit jeder Minute stickiger werdenden Raum.
    »Herr Draskovic, noch einmal: Wo steckt Ihre Frau?«
    »Ich …« Seine Hände hörten nicht auf zu zittern. »Ich nicht wissen. Seit September Iva nicht sehen.«
    »Vorher haben Sie aber hier zusammengewohnt?«
    Er nickte so verzagt, als könnte ihn diese Tatsache Kopf und Kragen kosten.
    »Iva ist verschwunden, ohne sich von Ihnen zu verabschieden? Ohne zu sagen, wohin?«
    Seine Miene wurde unruhig, als würde er gleich zu weinen beginnen. »Ich schuld. Ich schlagen. Ich manchmal so … Ich schuld. Nächster Morgen Iva gehen arbeiten. Wie jede Tag. Iva viel arbeiten. Iva zäh wie Katze. Aber nicht kommen zurück.«
    »Und Sie selbst? Arbeiten Sie auch?«
    »Manchmal.« Nachdenklich starrte er auf seine sehnigen Hände, die einfach nicht zur Ruhe kommen wollten. »Ich nicht gut mit Leute. Oft gibt Streit und …«
    »Das heißt also, Ihre Frau hat Sie im Wesentlichen ernährt.«
    Schuldbewusstes Nicken.
    »Und als Dank dafür haben Sie sie hin und wieder verprügelt.«
    »Bitte bringen Iva zurück«, krächzte er. »Ich jetzt anders. Ich jetzt gut! Bestimmt!«
    »Ungefähr zum selben Zeitpunkt wie Ihre Frau ist auch das Kind der Familie verschwunden, bei der sie gearbeitet hat.«
    »Tim verschwunden?«
    Seine Überraschung war echt. Dieser Mann war zu kaputt, um noch glaubwürdig zu lügen.
    »Was denken Sie? Könnte Iva etwas damit zu tun haben?«
    Diesmal schwieg Ratko Draskovic sehr lange. Sein Mienenspiel ließ mich ahnen, wie die Gedanken durch sein geschundenes Hirn tobten und doch keine vernünftige Erklärung zustande brachten. An den Fenstern rüttelte der Wind. Das Brummen und Summen des Ofens wurde mal lauter, mal leiser.
    »Iva immer gern Kinder«, flüsterte er schließlich. »Tim … Iva hat großgezogen. Die Frau …«
    »Jörgensen.«
    »Nicht gute Mutter. Zu viele … Nerven.«
    »Sie selbst sollen vor einiger Zeit Streit mit Tims Vater gehabt haben.«
    »Jeder hat Streit mit Jörgensen. Schlimme Mensch.«
    »Worum ging es dabei?«
    »Will nur zahlen Hälfte. Sagen, Arbeit nicht gut.«
    »Sie sollen dabei Drohungen ausgestoßen haben.«
    Wieder dauerte es lange, bis er sich eine Antwort zurechtgelegt hatte. Das ganze Haus schien zu beben unter dem Sturm, der draußen herrschte.
    »Manchmal, wenn wütend, ich sagen Sachen. Aber … sehen Sie doch!«
    Anklagend hielt er seine zitternden Hände in die Luft.
    »War Ihre Frau Zeugin bei diesem Streit?«
    »Ganze Nachbarschaft Zeuge. Alle.«
    Die nächste Frage kam mir selbst ein wenig hirnrissig vor. »Könnte es vielleicht sein, dass Iva an Ihrer Stelle Rache genommen hat?«
    Er stieß ein Krächzen aus, das in besseren Zeiten ein Lachen hätte werden können. Dann legte er das Gesicht in die schmutzigen, sehnigen Hände und begann, lautlos zu weinen.
    »Sie halten das also nicht für möglich?«
    »Aber nein! Nicht Iva! Iva gut!«
    »Und Sie wissen wirklich nicht, wo sie sich zurzeit aufhält?«
    »Wenn wüsste, dann ich jetzt dort und betteln, kommen zurück. Ich sterben ohne Iva.« Aus schwimmenden Augen starrte er mich an. »Ich sterben!«
    »Sie sprechen ziemlich gut Deutsch«, sagte ich, als ich mich erhob.
    »Iva mich gezwungen.« Ratko nickte ernst. »Ich erst nicht wollen. Nicht denken, so lange bleiben. Aber Iva sagen, wo man ist, man muss können Sprache. Sie kaufen Buch. Und jede Abend lernen. Jede Abend. Iva so zäh. Iva Katze. Aber ich dumm.«
     
    »Angelina
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher