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Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht

Titel: Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Autoren: Wolfgang Burger
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genug«, seufzte er. »Wenn ich’s zweimal die Woche schaffe, dann bin ich schon ganz zufrieden mit mir.«
    »Und Sie haben hier in letzter Zeit wirklich keine Menschen gesehen?«
    Beflissen schüttelte er den schmalen Kopf. »Ich sag doch, da ist keiner.«
    Ich stemmte das herzzerreißend quietschende Gartentor auf. Das Haus, das ich während unseres kurzen Gesprächs ständig im Auge behalten hatte, verfügte offenbar sogar über Strom. Ein im Wind schaukelndes schwarzes Kabel endete an einem stählernen Mast auf dem Dach. Der blecherne Schornstein qualmte nicht. Als ich jedoch näher kam, bemerkte ich, dass die Luft darüber flimmerte. Vermutlich war das Feuer im Ofen erst vor Kurzem in aller Hast gelöscht worden.
    Unter den interessierten Blicken des Joggers klopfte ich an die altersschwache Tür, von der großflächig die graue Farbe blätterte. Auf dem Wasser in der rostigen Regentonne an der Ecke hatte sich eine dünne Eisschicht gebildet.
    »Polizei!«, rief ich. »Bitte machen Sie auf!«
    Im Haus blieb es still.
    »Ich weiß, dass Sie hier sind«, rief ich lauter als zuvor. »Wenn Sie die Tür nicht öffnen, breche ich sie auf.«
    Wieder rührte sich nichts. Ich blickte über die Schulter. Mein Beobachter sah plötzlich am Haus vorbei. Er gab mir mit dem spitzen Kinn einen Wink. Mit zwei Sprüngen war ich an der Ecke, umrundete die Regentonne und sah eben noch einen Schatten über den heruntergetretenen und erbärmlich verrosteten Maschendrahtzaun an der Rückseite des Gartens springen. Der Schatten steckte in einer olivgrünen Jacke, so viel konnte ich noch erkennen, dann hatte dichtes Gebüsch ihn verschluckt. Ich lief los. Das Gelände war tückisch, der Boden uneben, viele Sträucher stachelig.
    Sekunden später erreichte ich die Stelle, wo ich den Flüchtenden zuletzt gesehen hatte. Der Raureif auf dem dürren, hohen Gras verriet mir seinen Weg. Der Mann lief auf die Felder zu. Nach vielleicht hundert Metern sah ich ihn wieder.
    »Stehen bleiben!«, brüllte ich.
    Er lief schneller, nun jedoch im Zickzack, um nicht getroffen zu werden. Offenbar hatte Ratko Draskovic Erfahrung darin, unter feindlichen Beschuss zu geraten. Zu seinem Pech war er allerdings noch schlechter in Form als ich. Kurz bevor wir die offenen Felder erreichten, holte ich ihn ein. Als er mich hinter sich hörte, fiel er unvermittelt auf die Knie, verschränkte die Hände im Genick und erstarrte in Erwartung eines Schlages oder einer Kugel. Zur militärgrünen Jacke trug er eine dunkelbraune, fleckige Tuchhose. Ich tippte ihm auf die Schulter.
    »Aufstehen!«
    Zögernd, als fürchtete er irgendeine Heimtücke, entspannte er sich. Die Hände lösten sich vom Genick, langsam stand er auf, was nicht ganz einfach war, da er die Hände in Schulterhöhe hielt. Schließlich wandte er sich langsam um, und endlich sah ich sein wettergegerbtes, mageres Gesicht. Die blutunterlaufenen Augen waren voller Angst.
    »Nicht schießen!«, bettelte er heiser. »Bitte nicht schießen!«
    Ratko Draskovic war klein, drahtig und sicherlich einmal sehr viel kräftiger gewesen als heute.
    Ich hob ebenfalls die Hände, um zu zeigen, dass sie leer waren.
    Mit ungläubiger Miene ließ er die Arme sinken.
    »Kommen Sie.« Ich packte ihn am Oberarm. »Gehen wir zurück.«
    Fünf Minuten später saßen wir in dem Häuschen, das von innen noch winziger wirkte als von außen. Es stank nach Alkohol, alten Socken und Männerschweiß. Unaufgefordert riss Draskovic das Fenster auf. Dann machte er sich am Ofen zu schaffen. »Strom teuer«, murmelte er. »Holz besser.«
    Bald brummte das Feuer wieder.
    »Es geht um Iva«, begann ich.
    Draskovic legte noch zwei Scheite nach und schloss die früher einmal durchsichtige Tür des Kaminofens. Dann richtete er sich ächzend auf, sah mir kurz ins Gesicht und dann zu Boden.
    »Was mit Iva?«
    Seine Stimme klang, als hätte er zeitlebens Kette geraucht.
    »Ich muss sie dringend sprechen.«
    »Warum?«
    »Ich weiß, dass Sie und Ihre Frau illegal in Deutschland sind und arbeiten. Aber das interessiert mich nicht. Es geht um Tim, den Sohn einer Familie, für die Iva längere Zeit gearbeitet hat. Und jetzt setzen Sie sich endlich hin und sehen Sie mich an.«
    Er nahm so hastig Platz wie ein Mensch, der es von Kind an gewohnt ist, Befehle zu befolgen.
    »Woher kommen Sie beide?«
    »Aus …«
    »Sie sollen mich ansehen!«
    Mit dem Blick eines zu oft geprügelten Hundes sah er mir in die Augen.
    »Wovor haben Sie denn solche
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