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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
Autoren: Gisbert Haefs
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Geschichte, Sohn Drakons.«
    » Noch einmal– wo ist der Anfang, Aristoteles?« Peukestas kniete noch immer neben der Liege.
    Aristoteles keckerte; seine Hand kroch in seltsamen Schlangenlinien über die Decken. » Eine Prophezeiung. Prophezeiungen sagen Ereignisse voraus, die dann eintreffen, weil alle sich bemühen, die Prophezeiung wahr zu machen. Aber…«
    Er richtete sich langsam auf, mühevoll. Von seinem hageren Hals löste er eine feine Kette, an der ein etwas mehr als münzengroßes Amulett hing: ein ägyptisches ankh aus Gold, mit einem dämonischen Horos-Auge aus dunklen Steinen in der Schlaufe.
    » Schau her, Junge.« Plötzlich war seine Stimme nicht mehr die eines Sterbenden, sondern die eines Herren, der befiehlt und weiß, daß man ihm gehorchen muß. » Ich will dich Bilder sehen lassen, die besser sind als Worte– Bilder von Dingen, die nicht in Worte passen. Sie sind auch schneller als Worte; mein Leben rinnt dahin. Schau in dieses Auge.«
    Peukestas öffnete den Mund, schloß ihn wieder und schüttelte langsam den Kopf, wie über einen seltsamen Anblick. Er lehnte sich gegen die Liege und starrte ins Auge des Horos.
    Aristoteles streckte den Arm aus. » Auch wenn man nichts davon hält– in einem langen Leben lernt man viele nützliche Formen von Unfug.« Mit kaum sichtbaren Bewegungen des Handgelenks ließ er das Amulett pendeln, gemessen, stetig. Peukestas folgte den Schwingungen mit den Augen; sein Gesicht erschlaffte. Hinter dem Amulett, sechs oder sieben Schritte entfernt, barst ein Scheit auf dem Rost; eine Flammenkugel stieg zum Rauchfang empor. Feuer und Rauch wurden zu Schlieren, zu Nebel; dann formten sich Bilder vor der rußigen Wand.
    Der sinkende Feuerball im Westen überzieht fern im Osten die Spitzen kaum noch sichtbarer Pyramiden mit Glut. Die Dämmerung über der Wüste ist kurz; nur wenige Momente glitzert der Sand. Von Osten nähert sich ein einachsiger Wagen mit zwei Männern. In der Nähe lacht eine Hyäne; das Gelächter bricht ab, als weiter fort ein Löwe brüllt. Eine kleine Schlange gleitet von einem Steinhaufen und verschwindet zwischen Flechten. Der Steinhaufen ist die Spitze einer fast versunkenen Tempelpyramide. Bis die beiden Männer mit dem Wagen sie erreichen, sind die ersten Sterne zu sehen. Im knisternden Schweigen der Nacht sind nur die leisen Stimmen zu hören, als die Männer vom Wagen steigen und zur Pyramide gehen: ein Ägypter und ein Hellene. Mit harten Vokalen sagt der Ägypter, der Priesterkleidung trägt:
    » Der Ehrwürdigste ist weit hergekommen, aus dem Heiligtum in Siwah. Er wird nicht erfreut sein, statt eines Priesters nur einen Händler zu sehen– auch wenn du in die Mysterien eingeweiht bist. Sag möglichst wenig.«
    Der Hellene macht eine Handbewegung, als ob er ein aufgerafftes Gewand fallen ließe; sie gehen zur anderen Seite der Pyramide. Dort führen halbverfallene Stufen in den Boden. Im ersten Raum lodern Fackeln zwischen geborstenen Säulen und verwitterten Götterstatuen. Die Schatten scheinen zu tanzen; eine Ratte verbirgt sich zu Füßen des Horosköpfigen.
    Der zweite Raum ist heller: mehr Fackeln, dazu Lampen und ein großes Feuer. Auch hier taumelnde Säulen und wankende Götter: Isis, Thoth, Hathor, Horos, ein Apisstier ohne Kopf (der Kopf liegt halb verborgen zwischen den Vorderhufen), ein geköpfter Ammonswidder (der Kopf liegt zu Füßen einer Herrscherstatue); ringsum an den Wänden Glyphen und Darstellungen aus den Totenbüchern. Jenseits des Feuers die Statue eines hockenden Greises unter einer großen Tafel der Sternzeichen.
    Die Statue bewegt sich; der Greis hebt den Kopf und starrt den Eintretenden entgegen. Er ist uralt. Den kahlen Kopf bedeckt eine schwarze Priestermütze nur zum Teil; der lange weiße Bart vermengt sich mit den Falten des weißen Gewands. Die tiefliegenden Augen versprühen schwarzes Feuer.
    Der Greis öffnet den beinahe zahnlosen Mund; er spricht sehr tief. Ägyptisch, schnell, hart und hörbar zornig. Der andere Priester verneigt sich mehrmals, antwortet betont demütig, wendet sich schließlich an den Hellenen.
    » Wie ich sagte«, flüstert er; dann, lauter: » Der Ehrwürdigste ist aus Siwah gekommen, um die wichtigste Botschaft seit Jahrhunderten zu überbringen. Was weißt du vom Großen Jahr?«
    Der Hellene hebt die Schultern. » So viel und so wenig wie jeder. Die kleinen Sterne rennen, die großen, die unsere Zeichen bilden, stehen scheinbar still, aber auch sie bewegen sich. Nach etwas
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