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Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim

Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim

Titel: Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
Autoren: Jack McDevitt
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folgte ihm mit einem Anflug von Resignation, den ein beiläufiger Beobachter wahrscheinlich nicht bemerkt hätte.
    Die Steinplatten, die zum Friedhof führten, waren unter dem Schnee verschwunden, doch Chulohn schenkte dem keine Beachtung und ging, gegen die Neigung gebeugt, schnurstracks den Hügel hinauf. Zwei steinerne Engel mit gesenkten Köpfen und ausgebreiteten Schwingen bewachten den Weg. Er ging zwischen ihnen hindurch und hielt inne, um die in den Torbogen gemeißelte Aufschrift zu lesen: Wer die Menschen zu sterben lehrt, muß zu leben wissen.
    Die Kreuze waren akkurat in Reihen angeordnet, das älteste vorn links, von dem aus sie in exakter Reihenfolge durch die Jahre über den Hügelkamm und auf dem gegenüberliegenden Hang wieder abwärts verliefen. Jedes trug einen Namen, die stolze Bezeichnung des Ordens, O.D.J., und das in den Standardjahren der Christlichen Zeitrechnung angegebene Todesjahr.
    Ziemlich am Ende entdeckte er Vater Brenner. Brenner war ein robuster, übergewichtiger Rotschopf gewesen.
    Doch er war jung in den Tagen, als auch Chulohn jung gewesen war.
    Er hatte Kirchengeschichte während der Großen Wanderung gelehrt.
    »Du hast doch bestimmt gewußt …«, sagte der Abt, nachdem der Bischof stehengeblieben war.
    »Ja. Aber zu hören, daß jemand tot ist, ist nicht ganz dasselbe, wie an seinem Grab zu stehen.«
    In dieser hinteren Reihe befanden sich schmerzlich viele bekannte Namen. Zuerst seine Lehrmeister: Philips, Mushallah und Otikapa. Mushallah war ein schweigsamer, verdrossener Mann mit flinken Augen und festem Glauben gewesen, der niemals Rededuellen mit Studenten ausgewichen war, die es wagten, die spitzfindige Argumentation in Zweifel zu ziehen, die Gottes Existenz logisch bewies.
    Ein Stück weiter fand er John Pannell, Crag Hover und andere. Zu Staub zerfallen. Alle Theologie der Welt konnte daran nichts ändern.
    Er betrachtete Thasangales neugierig, der geduldig im fallenden Schnee stand, die Hände tief in die Taschen geschoben, anscheinend unberührt von alledem. Verstand er auch nur annähernd, was es bedeutete, sich an solch einem Ort aufzuhalten? Das Gesicht des Abts zeigte nicht die geringste Spur von Schmerz. Chulohn wußte nicht genau, ob er wirklich wünschte, ebenfalls so glaubensstark zu sein.
    Eine unbehagliche Vorstellung: der Sünder, der nach der Sünde griff.
    Es gab zahlreiche Grabsteine, die mehrere Jahrhunderte zurückdatierten.
    Und hier lagen viele, denen er seine Achtung erweisen sollte; doch er wünschte sich inbrünstig, wieder umzukehren, vielleicht wegen des sich verschlechternden Wetters, vielleicht, weil er nicht mehr sehen wollte. Doch als er sich umdrehte, um den Friedhof zu verlassen, fiel sein Blick zufällig auf einen der Steine, und er sah, daß etwas nicht in Ordnung war, wenngleich er nicht sofort wußte, was es sein mochte. Er ging zu dem Gedenkstein und las die Aufschrift:
     
    Jerome Courtney
    Gestorben 11108 A.D.
     
    Das Grab war einhundertsechzig Standardjahre alt. Nach den Maßstäben des Ordens relativ neu. Doch die Inschrift war unvollständig. Das Zeichen des hl. Anthony fehlte.
    Der Bischof betrachtete den Stein stirnrunzelnd und fuhr mit der Hand über seine Oberfläche, um ein paar Schneeflocken wegzuwischen, die die Markierung vielleicht verdeckten.
    »Gib dir keine Mühe«, sagte der Abt. »Es ist nicht da.«
    »Warum nicht?« Er richtete sich wieder auf, und seine offensichtliche Verblüffung wich dem Mißfallen. »Wer ist das?«
    »Er ist keiner von uns. In engerem Sinne.«
    »Kein Jünger?«
    »Er ist nicht einmal Katholik, Cam. Ich bezweifle, daß er überhaupt gläubig war.«
    Chulohn trat einen Schritt vor und bedrängte seinen Untergebenen. »Was in Gottes Namen hat er dann hier zu suchen? Unter den Vätern?« Es war nicht der richtige Ort für eine lautstarke Auseinandersetzung, doch die Bemühungen des Bischofs, seinen Tonfall zu beherrschen, brachten ein gedämpftes Brummen hervor, das ihm peinlich war.
    Thasangales’ Augen waren rund und blau. »Er hat lange hier gelebt, Cam. Er hat bei uns Zuflucht gesucht und lebte fast vierzig Jahre in der Gemeinschaft.«
    »Das erklärt nicht, warum er hier liegt.«
    »Er liegt hier«, sagte der Abt, »weil die Männer, unter denen er lebte und starb, ihn liebten und beschlossen, daß er unter ihnen bleiben solle.«

 
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    Sie passierte Awinspoor im Dunkel der Nacht, mit flackernden Lichtern. Die Wolke des Relaisshuttle, der mit ihr durch das System gerast war,
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