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Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel

Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel

Titel: Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
Autoren: Ann Benson
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die Hand des Jungen unter das Licht einer Laterne und untersuchte sie sorgfältig. »Es tut mir leid, daß ich mich nicht eher um dich kümmern konnte«, entschuldigte er sich, und sein Bedauern wuchs, als er die Schwere der Verletzung erkannte. Der Junge zuckte zusammen, überempfindlich durch den Schmerz in seiner Hand, den sogar seine Trunkenheit nicht völlig auslöschen konnte. Alejandro versuchte, die Hand ruhig zu halten, während er sich darauf vorbereitete, den Splitter herauszuziehen, aber jedesmal, wenn er ihn berührte, zuckte der Junge zurück.
    »Halt still, Junge; sonst kann ich diesen gottverdammten Splitter nicht richtig packen!«
    Schockiert von Alejandros gotteslästerlichem Befehl, gehorchte der Knabe, aber der Schaden war schon angerichtet; der Splitter brach am Rand der Wunde ab, und ein beträchtliches Stück blieb im Fleisch stecken.
    Alejandro wusch Schmutz und Blut von der Hand des Jungen und goß Wein über die Wunde, um sie noch besser zu reinigen. Er hatte schon lange die Erfahrung gemacht, daß mit Wasser gesäuberte und mit Wein behandelte Wunden eher ohne Eiterung heilten, obwohl er keine Erklärung für die heilende Macht dieser Vorgehensweise besaß. Um den Schmerz zu betäuben, träufelte Alejandro Nelkenöl auf die Wunde, wobei der Junge zusammenzuckte und keuchend Luft holte.
    »Das Stechen wird rasch vergehen«, sagte er zu ihm. »Und jetzt halte still, während ich die Hand verbinde. Und trinke mehr Wein. Der wird dir helfen zu schlafen.« Im stillen betete der Arzt, der Junge möge durch die Eiterung, die sich zweifellos einstellen würde, nicht die Hand oder gar sein Leben verlieren.
    Als am Horizont die ersten Sonnenstrahlen sichtbar wurden, legte Alejandro sich auf sein Bett; seine Kräfte waren völlig erschöpft. Lebhafte Träume von Carlos Alderon störten seinen unruhigen Schlaf; das grauenerregende Gespenst in fleckigem schwarzem Leichenhemd jagte ihn unablässig durch dunkle, gefährliche Wälder. Alejandro war dem Griff des Schmiedes immer nur knapp einen Schritt voraus, als er sich in den unbekannten Forst stürzte; unbeholfen stolperte er über endlose Hindernisse, und seine bleiernen Glieder mühten sich ab wie in einem unkrautübersäten Sumpf. Er hatte keinen anderen Wunsch, als sich aus diesem Sumpf zu schleppen und zu langer Ruhe niederzulegen.
    Aufgestört von dem erschreckenden Traum, zuckte der erschöpfte Körper des Arztes krampfartig, unfähig, sich loszureißen und der verwirrenden Verfolgung zu entkommen. Immer weiter floh er, gejagt von Alderons Geist, ohne sichere Zuflucht vor sich; wahre Ruhe war noch immer sehr, sehr fern.
    Die Mittagssonne fiel durch Ritzen in den Läden, die die schmalen Fenster bedeckten, als der erschöpfte Arzt endlich die Augen wieder öffnete. Steif stand er von seinem Lager auf und wurde bei jeder Bewegung, die er versuchte, sofort wieder an die Anstrengungen der vergangenen Nacht erinnert. Noch nie hatte er so quälende Schmerzen in den Schultern gehabt. Narr, dachte er, es lag doch auf der Hand, daß du nach dieser schweren Arbeit leiden würdest! Er ging zu seinem Arzneischrank und fand eine Salbe aus Menthol und Kampfer, mit der er seine Schultern einrieb.
    Das Wasser, das er sich ins Gesicht spritzte, erfrischte ihn nur wenig; es war am Vortag aus dem Brunnen geschöpft worden und unangenehm lauwarm. In seinem angeschlagenen Zustand hielt er es für unklug, sein Haus zu verlassen, nicht einmal, um zum Brunnen zu gehen, denn er trug noch immer die dreckverkrustete Kleidung des Vortags. Rasch legte er sie ab und wischte sich mit einem Tuch sauber, das er in das restliche Wasser getaucht hatte. Alejandro war normalerweise ein gewissenhafter Mann und aufrichtig in seinem Wunsch, ein Beispiel der Reinlichkeit zu geben, das, wie er hoffte, seine Patienten ermutigen wür- de, sich ähnlich sauberzuhalten, mit großem Nutzen für ihre Gesundheit. In seinem gegenwärtigen verschmutzten Zustand konnte er höchstens hoffen, gewissen Haustieren ein Beispiel zu sein.
    Er stopfte sein langes schwarzes Haar unter einen Hut, legte ein schlichtes Hemd und einfache Beinkleider an und ergriff dann zwei hölzerne Eimer. Als er die Tür öffnete, fiel ihn die drückende Hitze an und erinnerte ihn daran, daß die Arbeit des Tages wirklich schrecklich sein würde.
    Die Sonne hatte ihren höchsten Stand am Himmel erreicht, und ihre Strahlen brannten erbarmungslos auf den Stadtanger und rissen noch tiefere Sprünge in die bereits rissige Erde.
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