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Albertas Schatten

Albertas Schatten

Titel: Albertas Schatten
Autoren: Amanda Cross
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wäre sie ein paar Zentimeter kleiner, würden ihre Füße nur dann den Boden berühren, wenn sie sich auf die vordere Kante setzte. Sie stellte sich die Generationen von Frauen vor, die als Gäste bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie in früheren Zeiten überhaupt erwünscht waren, auf der Vorderkante riesiger Sessel saßen wie Hühner auf der Stange und den Elefantenschädel betrachteten. »Fahr fort«, sagte sie.
    »Die Sache mit der Schriftstellerin übergehe ich jetzt mal. Wir sind öfters ausgegangen und haben uns über Schriftsteller und anderes unterhalten; dann sagte mir Charlie, daß sie einen Job brauchte, um Geld zu verdienen. Galant habe ich ihr vorgeschlagen, sie zu unterstützen; ich verdiene genug für zwei. Aber es war sehr wichtig für sie, unabhängig zu sein. Zufällig hatte die Frau, die unseren Wang-Raum unter sich hatte, gekündigt; Charlie sagte mir, sie hätte jahrelang Büroarbeit gemacht, und fragte, ob ich etwas dagegen hätte, wenn sie sich für den Job bewerbe. Um ehrlich zu sein, ich glaubte keinen Augenblick daran, daß die Kollegen Charlie nehmen würden, einfach weil sie in meinen Augen eine Schriftstellerin war und mir so jung vorkam; sie ist in den Dreißigern. Aber sie hatte gute Zeugnisse und machte einen sehr guten Eindruck; sie bekam den Job. Warum wir den Leuten in der Kanzlei nicht gesagt haben, daß wir, wie man so sagt, miteinander gehen? Weiß der Himmel. Die Relikte ritterlicher Diskretion? Ein natürlicher Hang zur Verschwie-genheit bei uns beiden? Als wir uns entschlossen haben, zusammenzuleben, haben wir es auch niemandem erzählt, nicht einmal meinen Söhnen. Sie gehören zwar zu der Generation, für die ein Zusammen-leben ohne Trauschein etwas völlig Normales ist, aber da ich ein zutiefst altmodischer Knabe bin, wie du mit deinen außerordentli-chen detektivischen Fähigkeiten schon herausgefunden haben wirst, wollte ich nicht, daß unsere Beziehung in der Firma breitgetreten wird, zumal Charlie beabsichtigte, die Kanzlei bald zu verlassen, um an ihrer Biographie zu arbeiten. Sie sparte, um ihre Nachforschungen zu finanzieren, wie sie es ausdrückte.«
    »Toby, bist du glücklich mit ihr? War der Entschluß, heimlich mit ihr zusammenzuleben, wirklich eine gute Idee? Du siehst nicht glücklich aus, und ich möchte, daß du glücklich bist. Wenn du un-glücklich bist, sag es mir bitte.«
    »Charlie hat mich sehr glücklich gemacht. Eigenartig, daß ich das nicht deutlich gezeigt habe, nicht wahr? Ich sehe sie… also unsere Beziehung, schon als Selbstverständlichkeit an, und das ist doch das Allerbeste. Wie bei der Gesundheit, du wünschst sie dir, damit du nicht weiter darüber nachdenken mußt. Mir wäre es lieber, deine Nichte hätte mit dieser Geschichte über Charlies Verschwinden gar nicht erst angefangen. Als ich klein war, hatte ich eine Großtante, die Kinder, die sie liebte, ›Glanzäuglein‹ und ›Plusterschwänzchen‹
    nannte. Ich erinnere mich daran, wie ich dachte: Wenn sie das noch einmal sagt, gehe ich hinaus und suche mir einen buschigen Schwanz und schlage ihn ihr um die Ohren. Aber genau das ist Lillian: Glanzäuglein und Plusterschwänzchen. Das einzig Beruhigende an der Sache ist, daß niemand etwas davon weiß, nur du und Lillian und Leo.«
    »Das stimmt schon; aber es könnte sein, daß wir Lillian Watson spielen lassen müssen, damit sie nicht noch mehr Unruhe stiftet.
    Lillian ist zuverlässig, wenn man ihr etwas anvertraut; dessen bin ich sicher. Aber wenn ich ihr in hochtrabendem Ton sage: ›Ich kann dir nichts erzählen‹, würde sie wahrscheinlich auf eigene Faust weiter-forschen, und wer könnte ihr das verübeln?
    Andrerseits können wir ihr schwerlich sagen, wonach wir suchen, solange wir es selbst nicht wissen; oder wissen wir es doch?«
    »Soll hier ein Handel stattfinden? Wenn ich Lillian Watson spielen lasse, wirst du mir dann wenigstens zuhören? Aber sei vorsichtig, was Lillian betrifft. Entweder muß sie ihre Textverarbeitung in einer anderen Kanzlei machen, oder sie muß so tun, als kenne sie mich nicht. Ich kann nicht mehr lange leben mit diesen tiefen Blicken unter langen Wimpern.«
    »Es scheint dir schon besser zu gehen, Toby. Es muß an den Schwingungen liegen, die vom Elefantenschädel ausgehen. Warum gehe ich eigentlich davon aus, daß es ein männlicher Elefant war?«
    »Weil Frauen im Harvard Club nicht zugelassen waren, außer nach höchst strengen Bedingungen. Sicherlich haben sie keine an die Wand
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