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Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung

Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung

Titel: Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Autoren: James Clemens
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Siegesfeier vor einem Mond erschien ihr so fern, als hätte sie in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort stattgefunden. Doch dafür erinnerte sie sich hier auf ihrem Dornenthron umso deutlicher an den langen Tanz mit Er’ril auf dem Turm. Sie spürte seine warme Hand auf dem Seidengewand, den Hauch seines Atems, den rauen Bart an ihrer Wange. Doch dieser Tanz war der einzige geblieben. Seit jener Nacht war Er’ril zwar stets in ihrer Nähe, aber sie hatten kaum ein Wort gewechselt, nur diese endlosen Sitzungen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang über sich ergehen lassen.
    Aber damit war jetzt Schluss!
    Während unter ihr unverdrossen weiter diskutiert wurde, zog Elena langsam die Lammfellhandschuhe aus. Frisch und unberührt leuchtend rot wie frisch vergossenes Blut prangten auf beiden Händen die Zeichen der Rose: das eine aus dem Mondlicht geboren, das andere aus dem Schein der Sonne. Hexenfeuer und Kaltfeuer und dazwischen lag das Sturmfeuer. Elena starrte ihre Hände an. Die Magik wogte in rubinroten Kringeln und Spiralen über Finger und Handflächen.
    »Elena?« Er’ril war unruhig geworden. Er beugte sich näher zu ihr, den Blick auf ihre Hände gerichtet. »Was hast du vor?«
    »Ich bin der Streitereien müde.« Sie zog einen Dolch aus der Filigranscheide, die in die Schärpe ihres tannengrünen Kleides eingearbeitet war. Die Klinge war aus Silber, der Ebenholzgriff hatte die Form einer Rose und schmiegte sich in ihre Hand, als wäre er für sie gemacht. Die aufsteigenden Erinnerungen an ihren Onkel Bol, der die Waffe mit ihrem eigenen Blut getauft hatte, schob sie beiseite. Sie hatte noch seine Worte im Ohr: Jetzt ist es ein Hexendolch.
    »Elena …« Er’rils Stimme klang streng und warnend.
    Sie achtete nicht darauf und erhob sich. Ohne ein Wort zu sagen, zog sie die scharfe Spitze über die Innenfläche ihrer rechten Hand. Der Schmerz war nicht schlimmer als ein Wespenstich. Ein einziger Tropfen Blut quoll aus dem Schnitt und fiel auf ihr seidenes Gewand. Elena blickte immer noch stumm über den langen Tisch.
    Keines der Ratsmitglieder schaute auch nur in ihre Richtung. Alle waren vollauf damit beschäftigt, eigene Anliegen vorzutragen, Attacken gegen andere zu reiten oder mit grober Faust auf die Eisenholzplatte zu schlagen.
    Mit einem weiteren Seufzer griff sie in die Tiefe ihres Herzens und zapfte den Quell der wilden Magik an. Vorsichtig löste sie feine Fäden der Macht und ließ sie in feurigen Rinnsalen durch ihre Adern in ihre blutende Hand rauschen. Als sich die Energie dort sammelte, entstand ein schwacher Lichtschein. Elena ballte die Hand zur Faust, und der Schein vertiefte sich. Als die Faust leuchtete wie eine rote Laterne, hob sie sie in die Höhe.
    Der Erste, der das Schauspiel bemerkte, war Meister Edyll, der greise Ratsälteste der Mer’ai. Der Schein hatte sich wohl in seinem Silberbecher gespiegelt. Er drehte sich so hastig um, dass der Wein wie Blut über den Tisch spritzte. Der Becher landete mit lautem Klirren auf der Tischplatte.
    Durch den Lärm wurden auch andere aufmerksam. Die Weinpfütze breitete sich aus. Ein Kopf nach dem anderen wandte sich dem oberen Tischende zu. Eine Welle erschrockenen Schweigens ging durch die Versammlung.
    Elena hielt den Blicken ungerührt stand. So viele hatten ihr Leben gelassen, um sie hierher auf diese Insel zu bringen: Onkel Bol, ihre Eltern, Flint, Moris …
    Mit ihren Stimmen wollte sie heute sprechen. Sie würde nicht zulassen, dass das Opfer dieser Menschen in endlosen Diskussionen zerredet wurde. Wenn Alasea eine Zukunft haben sollte, wenn man versuchen wollte, Gul’gothas Herrschaft zu brechen, dann musste man jetzt handeln, und das ließ sich nur auf einem Wege erreichen. Jemand musste eine Grenze ziehen.
    »Ich habe genug gehört«, sagte Elena leise in die Stille hinein. Feurige Rinnsale breiteten sich aus der glühenden Faust über ihren Arm aus, zuckende Fäden aus rötlichem Gold. »Ich danke euch für eure wohlmeinenden Ratschläge in den vergangenen Tagen. Ich werde sie mir in der kommenden Nacht durch den Kopf gehen lassen, und morgen früh werde ich euch mitteilen, welchen Weg wir einschlagen.«
    Am unteren Tischende stand der Vertreter der Küstenstadt Penryn auf. Symon Feraoud, ein stämmiger Mann mit einem schwarzen Schnurrbart, dessen Enden ihm bis über das Kinn hingen, verfügte über eine weit tragende Stimme. »Mädel«, erklärte er, »nichts für ungut, aber was hier beschlossen wird, hast nicht du zu
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