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Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung

Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung

Titel: Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Autoren: James Clemens
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Neuerdings erscheint mir die Hexe in meinen Träumen und fordert mich auf, ihre Geschichte zu vollenden. Ich habe ihre Stimme im Ohr, während ich durch die Stadt schlendere, und bisweilen, ich könnte es schwören, spüre ich ihren Atem auf der Haut wie ein juckendes Ekzem. Wenn ich meinen Geschäften nachgehe, sehe ich inzwischen kaum noch die Straßen und Gassen meiner Heimatstadt. Andere Orte, andere Bilder erscheinen vor meinem Auge: die sonnenverbrannten Ruinen von Tular, die Bresche im Granit des Nordwalls. Ich lebe in einer Schattenwelt zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
    Eine Frage verfolgt mich: Wenn ich wieder zu schreiben beginne, muss ich dann für immer durch die Vergangenheit irren? Wird mir dieses Land aus Buchstaben und Tinte wirklicher werden als die Luft, die ich atme? Werde ich in Erinnerungen ertrinken, in alle Ewigkeit dazu verdammt, die alten Ängste und die seltenen Siege wieder und wieder zu durchleben?
    Ich weiß, dass ich das Risiko eingehen muss, aber bisher konnte ich mich nicht zum Schreiben überwinden. Ich weiß, es ist die einzige Möglichkeit, den Fluch der Unsterblichkeit von mir zu nehmen. Nur wenn ich ihre Geschichte zu Ende erzähle, wird mir endlich die Gnade des Todes gewährt. Doch seit einigen Monden beginne ich, am Versprechen der Hexe zu zweifeln. Wenn ihre Worte nun ein Trick gewesen wären, eine letzte Bosheit?
    So saß ich nun schon allzu lange wie erstarrt, hin und her gerissen zwischen meinen Ängsten und der Hoffnung auf Erlösung.
    Bis zum heutigen Morgen da schickte sie mir ein Zeichen!
    Ich erwachte beim ersten Hahnenschrei, und als ich mir mit kaltem Wasser das Gesicht wusch und dabei in den Spiegel über meinem Waschtisch sah, erblickte ich ein Wunder. Aus meinen dunklen Locken leuchtete mir eine einzelne graue Strähne entgegen. Bei dem Anblick zog sich mir das Herz zusammen; Tränen traten mir in die Augen und ließen das wundersame Bild verschwimmen. Der Morgennebel löste sich unter den Strahlen der aufgehenden Sonne auf, doch ich rührte mich nicht von der Stelle. Ich wagte nicht einmal, die Strähne zu berühren, aus Angst, sie könnte eine Täuschung sein. Das wäre zu grausam gewesen. Das hätte ich nach so langer Zeit nicht mehr ertragen.
    In diesem Moment flammte in der toten Asche meines Herzens ein Fünkchen auf Hoffnung!
    Meine Beine trugen mich nicht mehr, ich fiel zu Boden und weinte tagelang, wie mir schien. Es war ein Zeichen, ein Vorbote des Alters, der mir den Tod verhieß.
    Als meine Glieder mir wieder gehorchten, erhob ich mich und berührte die grauen Haare. Sie waren echt! Die Hexe hatte mich nicht belogen.
    Die Erkenntnis löste die Starre. Ohne mir Zeit zum Essen zu nehmen, suchte ich mir mein Werkzeug Feder und Pergament zusammen und machte mich an die Arbeit. Ich muss die Geschichte zu Ende bringen.
    Draußen herrscht Winter, die Tage sind so öde, als wären alle Farben aus der Welt entwichen. Die Menschen, die durch die trostlosen Straßen hasten, haben sich von Kopf bis Fuß in dickes graues oder braunes Wollzeug gewickelt. Ruß und Asche aus Keils hundert rauchenden Schloten beflecken die schneebedeckten Berge vor den Stadtmauern. Die Landschaft ist eine Zeichnung in Grau und Schwarz. Sogar der Himmel liegt hinter einer glatten Wolkendecke; er hängt über mir wie eine leere Tafel.
    Winter.
    Die Zeit der Märchenerzähler, wenn die Welt gleich einem Pergament des ersten Federstriches harrt, der ihr Leben und Substanz zurückgibt. Die Zeit, da sich die Menschen um das Herdfeuer drängen und auf Geschichten warten, die Licht und Farbe in ihr Dasein bringen. Die Zeit, da sich die Schenken füllen und die fahrenden Sänger derbe Lieder von fremden Ländern, von Feuer und Sonnenschein zum Besten geben. In anderen Monden bezahlen die Menschen mit Kupfermünzen für eine Geschichte nicht so im Winter. Wenn die Himmel grau und die Herzen dunkel sind, findet selbst ein schlechter Erzähler Silber und Gold in seiner Schale. Denn im Winter ist der Hunger nach Geschichten groß.
    Doch mit dieser meiner Geschichte hoffe ich nicht auf Gold, sondern auf ein kostbareres Gut, ein Gut, das jedem Menschen bei seiner Geburt geschenkt wird, mir aber von einer Hexe gestohlen wurde. Ich hoffe auf den Tod.
    Und während sich nun die Welt in die Stille des Winters hüllt, beginne ich abermals mit Elenas Geschichte. Schließen Sie die Augen, und lauschen Sie. Jenseits dieser stillen Zeit erheben sich zornige Stimmen. Können Sie sie hören? Männer
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