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Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Titel: Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)
Autoren: Jesper Juul
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und den anderen wissen. Wenn du als Erwachsener vielleicht das Bedürfnis hast, nach deinem Gespräch mit einem Kind Schlussfolgerungen zu ziehen, dann tu das, aber fordere nicht vom Kind, dasselbe zu tun, und halt dich zurück, Schlussfolgerungen für es zu ziehen. Mit anderen Worten: Erlaube es dir nicht, in die Rolle des Lehrers oder Besserwissers zu schlittern!
    Interesse
    Zunächst entscheide für dich selbst, inwiefern du am Wohlergehen des Kindes, mit dem du es gerade zu tun hast, interessiert bist. Wenn du lediglich daran interessiert bist, andere Kinder vor ihm zu schützen oder ihm eine Lektion zu erteilen, wirst du deine und seine Zeit vergeuden. Wenn das Kind aggressiv war und/oder über eine gewisse Zeitspanne aggressives Verhalten an den Tag gelegt hat, kannst du dir fast sicher sein, dass sich in seinem Umfeld Erwachsene befinden, die ihm etwas vortäuschen; du könntest demnach für das Kind eine Chance sein, sein Vertrauen in Erwachsene wiederzugewinnen.
    Der traditionelle Weg eines Erwachsenen, Interesse zu zeigen, ist der, Fragen zu stellen. In einer Beziehung, die für beide angenehm und sicher ist, läuft das gewöhnlich auch problemlos ab. Wenn du aber mittels des Dialoges bewirken möchtest, dass sich das Kind wohl fühlt, funktioniert das nicht besonders gut. Kleine Kinder haben Schwierigkeiten, Fragen zu verstehen, und etwas ältere Kinder sowie Jugendliche haben sich bereits eine gewisse Reserviertheit im Beantworten von Fragen angewöhnt.
    Das grundlegende Problem einer Konversation, die aus Fragen und Antworten besteht, ist, dass sie eine asymmetrische Beziehung herstellt. Der Erwachsene hat die Möglichkeit, sich hinter seinen Fragen zu verstecken, während sich das Kind öffnen muss, um wahre und sinnvolle Antworten zu geben. Das andere Problem, das sich bei der Frage-Antwort-Konversation ergibt, ist, dass du – wenn du nur Fragen stellst – auch nur Antworten erhältst. Du erfährst nicht wirklich, was im Kopf des Kindes vorgeht. Demnach versuche, Fragen zu vermeiden und sie mit persönlichen Äußerungen zu ersetzen – zum Beispiel: »Ich habe gemerkt, dass du dich in letzter Zeit über andere Kinder ärgerst. Ich glaube, du fühlst dich mit etwas nicht wohl. Ich würde gerne wissen, was es ist, sollte mich meine Wahrnehmung nicht trügen, und selbstverständlich solltest du es mir mitteilen wollen.«
    Diese Äußerung ist offen und einladend, sie wird voraussichtlich dazu führen, dass das Kind zunächst still ist, da sein automatischer Antwortmechanismus in dieser Situation nicht greift. Mach dir keine Sorgen, dass du vorgegriffen und gesagt hast, das Kind fühle sich »nicht wohl«; wenn du falschliegst, wird es dich korrigieren, und du knüpfst dann daran an. Das wird ihm dein Interesse zeigen: dass du bereit bist, es ernst zu nehmen – hundert Fragen in einem quasiempathischen Ton vorgetragen können so etwas nicht bewirken. Versuche niemals, deine Stimme »kindgerecht freundlich« klingen zu lassen – es reicht voll und ganz, wenn sie einfach nur freundlich ist.
    Hier ein Beispiel von zwei sehr verschiedenen Reaktionen aus zwei verschiedenen Kindergärten:
    »Als Emily vier Jahre alt war, holte ich sie eines Tages aus dem Kindergarten ab – weinend und traurig. Sie sagte mir, sie dürfe nicht mehr zeichnen. Ich habe die Erzieherin sofort gefragt, warum. Ihre Antwort: Emily habe ihre Zeichnung zerstört, sie in eine Ecke geworfen und einem anderen Mädchen einen Hieb versetzt. Ich habe insistiert und so die ganze Geschichte erfahren. Folgendes war geschehen: Meine Tochter tat, was sie am meisten liebte – sie zeichnete. Das Mädchen in ihrer Nachbarschaft fing an, sich einzumischen und schwarze Linien in ihre Zeichnung zu ziehen. Nach einigen gescheiterten Versuchen, sie davon abzuhalten, wurde Emily ärgerlich und aggressiv und tat, was sie tat … Sie versetzte dem Mädchen einen Hieb.
    Als ich in der Folge der Erzieherin – mit Hilfe einiger Kinder, die dabei waren – erklärte, warum Emily so gehandelt hatte, gab sie dieselbe Antwort von sich: Emily darf nicht mehr zeichnen, schreien und aggressiv sein.
    Darauf antwortete ich, dass es ihr nicht erlaubt sei, das zu verbieten und das Kind für seine Gefühle in einer Situation, die sie selbst als Erwachsene wütend gemacht hätte, zu bestrafen. Keine Antwort! Danach habe ich meine Tochter in eine andere Institution gebracht.«
    Dies ist in Professionalität gekleideter Machtmissbrauch. Er ist für alle beteiligten
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