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Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Titel: Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)
Autoren: Jesper Juul
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Feedback setzt sowohl Körper- als auch verbale Sprache voraus. Beide müssen möglichst authentisch sein, um Vertrauen zu schaffen. Die wichtigste Voraussetzung eines persönlichen Feedbacks ist das Verwenden einer persönlichen Sprache – einer Sprache, die dein Dasein, deine Emotionen, Gedanken und Werte am treffendsten in Bezug auf die Begegnung, in der du dich gerade befindest, ausdrückt: Was passiert in mir, wenn ich dir zuhöre? Konkret ausgedrückt, heißt das: Eine persönliche Sprache schließt Sätze aus, die mit »du« anfangen, sowie Definitionsversuche über die andere Person und/oder ihr Verhalten. Dafür schließt sie deine persönlichen Reaktionen ein.
    Stell dir ein dreijähriges Kind vor, das dir in den Magen schlägt. Welches ist deine persönliche Reaktion?
Es gefällt mir nicht, wenn du mich schlägst, und ich will, dass du damit aufhörst!
Hör zu! Ich HASSE das, wenn mich jemand schlägt! Tu das nie wieder!
Das war aber ein guter Hieb! Aber du kannst das noch besser … Komm, noch mal! (Das heißt: »Ich akzeptiere deine Art, wie du im Moment mit mir kommunizierst, und ich will deine Botschaft verstehen!«)

    Keine dieser Antworten weist mit dem Zeigefinger auf das Kind oder benennt sein Verhalten als gut oder schlecht. Sie machen dem Kind klar, wer du bist und welches deine persönlichen Grenzen sind. Auf diese Weise vertiefen sie eure Beziehung und schaffen gegenseitiges Vertrauen. [13]
    Wie bereits erwähnt, sind diese fünf Schritte so etwas wie fünf Zutaten, mit denen ein freundlicher Dialog in einer offenen, aufrichtigen und direkten Atmosphäre versehen werden kann. Wir dürfen nicht vergessen, aggressive und gewalttätige Kinder und Jugendliche haben oft Angst – nicht nur Angst davor, für ihr Verhalten bestraft zu werden, es geht um eine tiefere Furcht, die aus ihren Lebensumständen erwächst. Das muss allerdings nicht immer so sein: Wenn Aggression sehr selten und vereinzelt auftaucht, dann ist es nicht der Fall. Doch wenn Kinder oft überkochen, dann schon.
    Ich hatte einst eine Begegnung mit einem fünfzehnjährigen Anführer einer Gang, einem Emigranten, dem der Zugang zu einem gemeinschaftlichen Projekt nicht erlaubt worden war. Als ich ihm mitteilte, dass die Erwachsenen, die das Projekt leiteten, Angst vor ihm hatten, füllten sich seine Augen mit Tränen: »Aber warum? Wissen die denn nicht, dass wir verschreckte kleine Jungen sind, die einfach nur versuchen zu überleben?« Wir sprachen über seine Angst, aus der Schule ausgeschlossen zu werden, nicht die Bildung zu genießen, die seine Eltern ihm so verzweifelt zuteilwerden lassen wollen, seine Angst, in einem Streit umgebracht zu werden und seine jüngere Schwester nicht mehr schützen zu können, seine Angst, abgeschoben zu werden oder im Gefängnis zu landen. »Du siehst also«, sagte er zu mir, »ich muss stark sein … Ich möchte einfach nur kein Loser sein.«
    Der Junge ist als ein Bürger zweiter Klasse in einem skandinavischen Land mit einer sehr arroganten und aggressiven Politik gegenüber Emigranten geboren; er ist mit diesem Mangel, nicht wertvoll genug zu sein für die Gesellschaft, in der er aufwuchs, tagtäglich konfrontiert worden. Als ihm schließlich die Teilnahme an einem Projekt, das sich dem Thema Integration widmen sollte, verboten wurde, gab ihm das den Rest.
    Was dieser junge Mensch gebraucht hat, um sich zu entscheiden zwischen destruktiver bzw. selbstdestruktiver Gewalt und seinem Bedürfnis, dazuzugehören und als wertvolles Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden, war lediglich ein einziger (!) »weißer Kerl«, der bereit war, sich die Welt aus seiner Perspektive anzuschauen, sie mit seinen Emotionen und Bedürfnissen zu erfahren und die Verzweiflung seiner Isolation am eigenen Leibe zu spüren. Er wusste schon längst, dass für ihn Aggression und Gewalt als Kommunikationsmittel nicht funktionieren.

Der Weg ist das Ziel
    Wann auch immer du einen Dialog mit einem Kind führst, versuche folgende zwei Dinge zu vermeiden:
    Sprich möglichst wenig über das aggressive oder gewalttätige Verhalten des Kindes. Sein Verhalten ist bloß ein Symptom, und über Symptome zu sprechen ist im Allgemeinen pure Verschwendung von Energie und Zeit. Das Kind weiß bereits, dass du sein Verhalten für problematisch hältst, und wird sich das wahrscheinlich merken. Jedes menschliche Wesen ist aber sehr viel mehr als sein »Problem« oder seine »Unfähigkeit«, und darauf solltest du deine
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