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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark
Autoren: Haruki Murakami
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innen geöffnet. Eine junge Frau mit knallrot gefärbtem Haar und einem unsicheren Gesichtsausdruck kommt heraus. Sie ist dünn und hat einen ungesunden Teint. Sie trägt ein übergroßes T-Shirt, löchrige Jeans und große Ohrringe.
    »Gut, dass du da bist, Kaoru. Es hat lange gedauert. Wir haben schon gewartet«, sagt die Rothaarige. »Wie geht's ihr?«, fragt Kaoru.
    »Unverändert.«
    »Hat es aufgehört zu bluten?«
    »Ja, fast. Aber wir haben massenweise Papiertaschentücher verbraucht.«
    Kaoru schiebt Mari ins Zimmer und schließt die Tür. Außer der Rothaarigen ist noch eine Angestellte im Raum. Sie ist zierlich und trägt ihr schwarzes Haar aufgesteckt. Sie ist gerade dabei, den Boden aufzuwischen. Kaoru übernimmt die Vorstellung.
    »Das ist Mari. Von der ich euch erzählt habe - die Chinesisch kann. Das Mädchen mit den roten Haaren heißt Kamille, klingt komisch, aber es ist ihr richtiger Name. Sie arbeitet schon lange bei uns.«
    Kamille lächelt herzlich. »Freut mich.«
    »Mich auch«, sagt Mari.
    »Das hier ist Grille«, sagt Kaoru. »Aber sie heißt nicht wirklich so, stimmt's?«
    »Ja, tut mir leid. Meinen richtigen Namen habe ich abgeworfen«, sagt Grille. Sie spricht Kansai-Dialekt. Sie scheint ein paar Jahre älter zu sein als Kamille.
    »Angenehm«, sagt Mari.
    Das Zimmer hat keine Fenster, und die Luft ist stickig. Im Verhältnis zum Ganzen sind Bett und Fernsehapparat auf geschmacklose Weise riesig. In einer Ecke kauert eingeschüchtert eine nackte Frau, die nur ein Badehandtuch um sich geschlungen hat, auf dem Fußboden. Sie hat beide Hände vors Gesicht geschlagen und weint lautlos. Auf dem Boden liegt ein blutgetränktes Handtuch. Auch die Bettlaken sind voller Blut. Die Stehlampe ist umgefallen. Auf dem Tisch stehen eine noch über halb volle Bierflasche und ein Glas. Der Fernseher läuft. Irgendeine Komödie mit Publikumsgelächter. Kaoru nimmt die Fernbedienung und schaltet aus.
    »Sie hat ganz schön Prügel bezogen«, sagt Kaoru zu Mari. »Von einem Mann?«, fragt Mari.
    »Ja, von einem Freier.«
    »Ist sie eine Prostituierte?«
    »Um diese Uhrzeit kommen viele Professionelle«, sagt Kaori. »Deshalb gibt es hin und wieder Probleme. Streit um die Bezahlung oder Typen, die abartiges Zeug machen wollen.«
    Mari beißt sich auf die Lippen und sammelt ihre Gedanken.
    »Und sie spricht nur Chinesisch, oder?«
    »Ja, nur ganz wenig und sehr gebrochen Japanisch. Aber die Polizei zu rufen hat keinen Sinn. Die meisten sind illegal hier, und ich habe keine Zeit, andauernd zur Polizei zu rennen, Protokolle aufnehmen zu lassen und so weiter.«
    Mari stellt ihre Schultertasche auf dem Boden ab und geht zu der kauernden Frau hinüber. Sie beugt sich zu ihr und spricht sie auf Chinesisch an.
    »Ni zenme le? (Was ist mit Ihnen passiert?)«
    Die Frau gibt keine Antwort. Es ist nicht zu erkennen, ob sie Mari gehört hat oder nicht. Ihre Schultern beben, und sie schluchzt krampfhaft.
    Kaoru schüttelt den Kopf. »Sie hat einen Schock. Weil sie so geschlagen wurde.«
    Mari spricht die Frau erneut an. »Shi zhonguoren ma? (Sind Sie Chinesin?)«
    Wieder antwortet die Frau nicht.
    »Fangxin ba, wo gen jincha mei guanxi. (Seien Sie ganz ruhig. Ich bin nicht von der Polizei.)«
    Wieder keine Antwort.
    »Ni hei ta da le ma? (Hat der Mann sie geschlagen?)«, fragt Mari.
    Endlich nickt die Frau. Ihr schwarzes langes Haar bewegt sich.
    Mari spricht mit geduldiger und ruhiger Stimme auf sie ein. Mehrmals wiederholt sie die gleichen Fragen. Mit verschränkten Armen und besorgtem Blick beobachtet Kaoru das Zwiegespräch der beiden. Unterdessen bringen Kamille und Grille arbeitsteilig das Zimmer in Ordnung. Sie sammeln die blutigen Papiertaschentücher in eine Abfalltüte, ziehen die beschmutzte Bettwäsche ab und wechseln die Handtücher im Bad. Sie stellen die Lampe wieder ordentlich hin und bringen die Bierflasche und das Glas weg, prüfen, ob alle Extras wie Getränke und dergleichen vorhanden sind, und reinigen das Bad. Sie scheinen ein eingespieltes Team zu sein, denn sie gehen geübt und effizient vor.
    Mari hockt weiter in der Zimmerecke und redet mit der Frau. Dank ihrer Geduld scheint sich die Frau etwas zu beruhigen. Auf Chinesisch schildert sie Mari, wenn auch stockend, was geschehen ist. Da sie sehr leise spricht, ist sie nur aus nächster Nähe zu verstehen. Nickend und konzentriert lauscht Mari ihrer Geschichte. Hin und wieder sagt sie ein paar aufmunternde Worte.
    Kaoru tippt Mari von hinten auf die
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