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Aetherhertz

Aetherhertz

Titel: Aetherhertz
Autoren: Anja Bagus
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gehabt.
    Annabelle schien es manchmal, als wären die Spukgestalten aus den alten Geschichten und Märchen zum Leben erwacht. Man las in den Zeitungen von Mannwölfen, leichenfressenden Ghulen und fliegenden Scheußlichkeiten. Diese lichtscheuen Geschöpfe wurden erbarmungslos gejagt. Andere, die nicht so dramatisch verändert waren, wurden dennoch ausgestoßen und oft weg gesperrt.
    In Baden-Baden war die Bedrohung noch nicht so allgegenwärtig wie in den Gegenden an größeren Flüssen. Æther und Wasser gehörten irgendwie zusammen. Wissenschaftler glaubten, dass Æther ein weiterer Aggregatzustand von Wasser sein könnte, wie Dampf, Eis oder Schnee.
    Wie auch immer: Æther war äußerst nützlich. Er trieb Maschinen, Flugschiffe und Zeppeline, Eisenbahnen und Autos an. Mit Elektrizität gezähmt und raffiniert wurde er auch als Waffe eingesetzt. Er hatte die Welt verändert. Wie sehr, das konnte man noch gar nicht ermessen. Seit das Phänomen im Jahr 1900, also vor zehn Jahren, aufgetaucht war, gab es jeden Tag neue Nachrichten über seine Auswirkungen auf Menschen, Technik und Umwelt. Aber hier im Kurpark war es sehr unwahrscheinlich, einem Verdorbenen zu begegnen.
    Annabelle schüttelte den Kopf und sagte: “Heute herrscht Tiefdruck, da gibt es nicht viel Æther, und die Oos ist nicht der Rhein. Du bist ein Angsthase.“
    “ Mir wäre trotzdem wohler, wenn wir woanders reiten könnten. Hier sind wir ja fast allein.“ Johanna sah sich ängstlich um. Die nächste Reitergruppe war doch tatsächlich mindestens 50 Meter entfernt!
    “ Gut so. Ich muss dir etwas erzählen.“ Annabelle berichtete ihrer Freundin vom Besuch des Anwalts.
    “ Oh, das wäre doch wunderbar, dann hättest du keine Sorgen mehr!“
    “ Aber ich wäre immer abhängig von den Stiftungsvorständen. Bis ich heirate.“
    “ Komm einfach öfter mit mir, dann finden wir dir schon einen guten Mann”, sagte Johanna fröhlich. “Ich kenne eine Menge gut aussehender Kandidaten, und wenn die erst von deiner Erbschaft hören, dann kannst du dich kaum noch retten vor Verehrern, das verspreche ich dir!”
    Annabelle schüttelte vehement den Kopf, sodass ihr Reitzylinder verrutschte: “Ich will aber nicht!“
    “ Sei doch nicht immer so schwierig! Wir haben viel Spaß! Wir gehen ins Café, oder bummeln auf der Allee, fahren ins Grüne und machen ein Picknick ...“
    Annabelle hatte den Hut wieder zurechtgerückt: “Ich möchte lieber reisen, und forschen, und frei sein. Eure Vergnügungen sind immer so steif.“
    “ Also ich muss nicht weit reisen: Hier in Baden-Baden trifft sich doch die ganze Welt.“ Johanna winkte einer Gruppe junger Damen, die ihnen entgegenkamen, eine kichernde Horde auf lahmen Gäulen. Sie blieben kurz stehen und die Frauen tauschten in rasender Geschwindigkeit Informationen über die neuesten prominenten Besucher in der Stadt aus. Annabelle rechnete fast damit, dass Johanna sie bitten würde, sich der Gruppe anzuschließen, aber ihre Freundin ritt mit ihr weiter.
    “ Ach Johanna, Baden-Baden ist ja ganz nett, aber du hast das Meer noch nicht gesehen, die Sterne durch Palmwedel, oder die Pyramiden, Rom …“ Annabelle bekam Fernweh. Sie hatte das alles schon gesehen, aber sie war lange nicht mehr gereist. Ihr Vater hatte sie auf seine letzten Reisen nicht mehr mitgenommen.
    Johanna schauderte: “Am Meer war ich aber schon einmal. An der Ostsee – oder war es die Nordsee? Es war so weit und das Salzwasser ist furchtbar zur Haut.“
    Annabelle verdrehte die Augen. Es gab kaum zwei unterschiedlichere Menschen als Johanna und sie. Aber sie hatten einige Jahre gemeinsam eine Privatschule besucht, und unter all den Kindern war Johanna die Einzige, die immer freundlich zu ihr gewesen war. Sie hatte sie damals oft in Schutz genommen und Annabelle würde ihr das nie vergessen. Sie war so fremd gewesen unter all den kichernden Mädchen, aber Johanna hatte nie ein böses Wort auf sie kommen lassen, obwohl nicht einmal sie wusste, warum Annabelle ihre langen Handschuhe in der Öffentlichkeit nie auszog. Zumindest den der linken Hand.
     
    Die Handschuhe verbargen, dass Annabelle selbst eine der Auswirkungen des Æthers zu spüren bekommen hatte. Sie war damals in den Sommermonaten mit ihrem Vater in ihrem Haus am Schurmsee oben im Schwarzwald gewesen. In dem einsamen Tal hatten sie ein wundervolles Refugium vor der neuen Welt. Ihr Vater konnte in Ruhe seine Aufzeichnungen aufarbeiten und Annabelle durchstreifte die
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