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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman
Autoren: Heyne
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Und es gibt einfachere Methoden, sich das Leben zu nehmen.« Eine seltsame Taubheit erfasste Sebastian und dämpfte sogar die Kopfschmerzen. »Sind die Kinder in einem ähnlichen Zustand?«
    »Ja.«
    »Was wisst ihr über den persönlichen Hintergrund der Frau? Irgendwelche Sekten, esoterische Grüppchen oder etwas in der Art?«
    »Die Ermittlungen laufen«, sagte Torensen. »Monika Derbach scheint gläubige Katholikin gewesen zu sein.«
    Sebastian schüttelte den Kopf und dachte erneut an Anna. »Katholiken bringen sich und ihre Kinder nicht auf diese Weise um.«
    »Für gläubige Katholiken kommt überhaupt kein Selbstmord infrage, gleich auf welche Art«, erwiderte Torensen.
    Sebastians Blick galt noch immer dem Tuch. Als die Träger den großen Sarg hereinbrachten, strich sich der Kommissar mit einer Hand über den kahlen Kopf. »Die dritte scheußliche Sache in dieser Woche. Das geht selbst an mir nicht spurlos vorbei. Lothar hatte Schwein, dass ich ihn heute Abend nicht erreichen konnte.«
    »Die dritte? Was war mit den beiden anderen?«

    »Zwei Fälle drüben in Harvestehude. Suizide mit starken selbstzerstörerischen Elementen.«
    Sebastian holte die Kamera hervor. »Kann ich Bilder machen?«
    »Beim letzten Mal habe ich deswegen Ärger bekommen.«
    »Mir ist nirgends ein Schild aufgefallen, dass hier Journalisten verboten sind.«
    Torensen winkte. »Meinetwegen. Aber sei niemandem im Weg.«
    Die ersten Fotos machte Sebastian von der toten Frau und fragte sich, warum die Leute von der Spurensicherung nicht das Messer entfernt hatten. Ihm sollte es recht sein: Mit der Klinge in der rechten Hand wirkte die Tote besonders makaber.
    Die Kinder waren schlimm, so schlimm, dass ihr Anblick selbst Sebastians Taubheit durchdrang. Trotzdem fotografierte er sie, von allen Seiten, hielt die Details in Bildern fest: das Entsetzen im Gesicht des Jungen, der abgeschnittene Penis zwischen seinen Beinen, die Schnitte an Händen und Armen, Zeichen dafür, dass er sich verzweifelt zur Wehr gesetzt hatte, das große Loch in der Brust und die zerfetzte Kehle. Dem Mädchen hatte die Mutter wie kurz darauf sich selbst den Bauch aufgeschlitzt; zwei kleine Hände lagen auf der klaffenden Wunde, wie in dem Versuch, sie zu schließen und das Blut zurückzuhalten.
    Nach einer Minute hatte Sebastian genug und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Einer der Beamten hörte den Anrufbeantworter ab, und die Stimme eines gewissen Fabian erklang, bat Monika um ein Gespräch, das jetzt nie mehr stattfinden würde. Im Hintergrund war Musik zu hören, und Sebastian spitzte plötzlich die Ohren - etwas erschien ihm vertraut.

    »He, Alex!«
    Der Kommissar sprach gerade mit einem der forensischen Spezialisten und drehte den Kopf.
    »Das ist der Typ!«
    »Was?«
    »Der Irre, der sich unten eine Kugel in den Kopf geballert hat. Die Nachricht auf dem Anrufbeantworter stammt von ihm.«
    Torensen richtete einige Worte an den Mann von der Spurensicherung und trat dann zu Sebastian. »Bist du sicher?«
    »Ja. Die Musik und die anderen Geräusche … Wir waren in › Rudis Karussell ‹ , und ich erinnere mich, dass der Bursche telefonierte - offenbar hat er hier angerufen und die Nachricht hinterlassen. Und dann ist er durchgedreht.«
    »Praktisch zur gleichen Zeit wie die Frau?«, fragte Torensen nachdenklich.
    »Kann wohl kaum ein Zufall sein, was?«
    Torensen drehte sich um, winkte jemanden zu sich und erteilte Anweisungen. Sebastian schaltete den kleinen Rekorder in seiner Hemdtasche aus, steckte die Digitalkamera ein und ließ nur die Atmosphäre im Apartment auf sich wirken. Eine junge Frau war hier gestorben, in der Blüte ihres Lebens, und sie hatte ihre beiden Kinder mit in den Tod gerissen. Anna hatte in diesem Zusammenhang manchmal von Lichtern gesprochen, die erloschen, um am Jüngsten Tag erneut zu leuchten, aber Sebastian war nie fähig gewesen, daran zu glauben. Für ihn gab es nach dem Tod nichts, keine Hoffnung, nur Leere und Finsternis.
    Als die Särge hinausgetragen wurden, zwei kleine und ein großer, winkte Sebastian dem Kommissar zu und verließ das
Apartment. Auf dem Weg hinaus bemerkte er einen Reiseführer, der neben einigen Modezeitschriften auf der Flurkommode lag. Das Bild zeigte eine felsige Küstenlandschaft und darüber stand: »Entdecken Sie Kalabrien.«
    Als ihn der Lift ins Erdgeschoss brachte, dachte er an Anna in Italien.

5
    Prag
    G eht es Ihnen nicht gut?«
    Die Frau taumelte, konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten.
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