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Aelita

Aelita

Titel: Aelita
Autoren: Alexej Tolstoi
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gewesen beim Anblick seiner durch das Schneegestöber schreitenden ungefügen Gestalt mit dem flatternden Schal. Aber die Zeiten waren jetzt andere; die Dichter lassen sich nicht mehr begeistern von tobenden Schneestürmen, auch nicht von Sternen oder von Ländern, die hinter den Wolken sind, sie suchen das Podien der Hämmer im ganzen Lande, das Kreischen der Sägen, das Geschurre der Sicheln, das Pfeifen der Sensen – und fröhliche irdische Lieder.
    Ein halbes Jahr war vergangen, seit Losj auf die Erde zurückgekehrt war. Die Neugierde hatte sich gelegt, von der die ganze Welt ergriffen gewesen war, als die erste telegrafische Nachricht verbreitet wurde, daß zwei Menschen vom Mars angekommen seien. Losj und Gussew hatten die vorgeschriebene Anzahl Gänge auf den hundertfünfzig Banketten, Soupers und den gelehrten Versammlungen gegessen. Gussew hatte seine Mascha aus Petrograd kommen lassen und sie wie eine Puppe herausgeputzt, er hatte einige hundert Interviews gegeben, sich ein Motorrad angeschafft, trug eine runde Brille und war ein halbes Jahr lang in Amerika und Europa herumgereist, um von den Raufereien mit den Marsianern, von den Spinnen und den Kometen zu erzählen; er berichtete auch, daß er und Losj um ein Haar auf den Großen Bären geflogen wären, und gründete, nach Sowjetrußland zurückgekehrt, die »Gesellschaft zum Hinüberschaffen von Kampfabteilungen auf den Planeten Mars zwecks Rettung der Überreste seiner werktätigen Bevölkerung.«
    Losj baute in einer Petrograder Maschinenfabrik einen Universalmotor von dem auf dem Mars gebräuchlichen Typus. Gegen sechs Uhr abends kehrte er gewöhnlich nach Hause zurück. Er aß allein zu Abend. Vor dem Einschlafen öffnete er meist ein Buch; wie Kinderlallen erschienen ihm die Zeilen der Poeten, als kindisches Geschwätz, was die Romanschriftsteller sich ausgedacht haben. Wenn er das Licht gelöscht hatte, lag er noch lange wach, schaute ins Dunkle und spann und spann seine einsamen Gedanken.
    Zur gewöhnlichen Stunde ging Losj auch heute am Ufer des Flusses entlang, durch das dichte Schneegestöber. Der wütend tobende Sturm trieb die Flocken hoch in die Luft. Die Gesimse und Dächer rauchten. Man konnte kaum atmen.
    Losj blieb stehen und hob den Kopf. Der Wind hatte die sturmgepeitschten Wolken zerrissen. Am bodenlosen schwarzen Himmel glänzte ein Stern. Losj schaute hinauf zu ihm mit dem Blick eines Irrsinnigen – sein Strahl war ihm mitten ins Herz gedrungen… ›Tuma, Tuma, Stern der Traurigkeit…‹ Die Ränder der jagenden Wolken zogen sich aufs neue zusammen vor dem bodenlosen Abgrund und verdeckten den Stern. In diesem kurzen Augenblick war in Losjs Gedächtnis mit grauenhafter Deutlichkeit eine Vision aufgetaucht, die ihm bis dahin immer entglitten war….
    Halb im Schlaf schien er ein Brausen zu hören, es klang wie das zornige Summen von Bienen. Dann ertönten laute Aufschläge – ein Pochen. Die schlafende Aëlita schreckte auf, seufzte und erwachte; sie begann zu zittern, er konnte sie in dem Dunkel der Höhle nicht sehen und fühlte nur, wie ihr Herz schlug. Das Pochen gegen die Tür wiederholte sich. Von außen erscholl Tuskubs Stimme: »Nehmt sie!« Losj umfaßte Aëlitas Schultern. Sie sagte kaum hörbar: »Mein Gatte, Sohn des Himmels, leb wohl.«
    Ihre Finger glitten rasch über sein Gesicht. Da tastete Losj nach ihrer Hand und nahm ihr das kleine Flakon mit dem Gift weg. Ganz schnell, nur mit dem Atem, flüsterte sie ihm ins Ohr: »Mir ist ein Verbot auferlegt, ich bin der Königin Magr geweiht…. Nach dem uralten Brauch, einem furchtbaren Gesetz der Magr, wird eine Jungfrau, die das Weihegebot übertreten hat, in das Labyrinth, in den Schacht, geworfen. Du hast ihn gesehen…. Aber ich konnte der Liebe des Himmelssohnes nicht widerstehen. Ich bin glücklich. Ich danke dir für das Leben. Du hast mich den Jahrtausenden des Chao zurückgegeben. Ich danke dir, mein Gatte….«
    Aëlita küßte ihn, und er spürte den bitteren Geruch des Gifts auf ihren Lippen. Dann trank er den Rest der dunklen Flüssigkeit aus; es war noch ziemlich viel davon in dem kleinen Flakon. Aëlita hatte kaum Zeit gehabt, daran zu nippen. Die Schläge gegen die Tür nötigten Losj aufzustehen, doch sein Bewußtsein entschwand ihm und Hände und Füße gehorchten ihm nicht. Er kehrte zum Bett zurück, fiel über den Körper Aëlitas, legte die Arme um sie. Er rührte sich nicht, als die Marsianer die Höhle betraten. Sie rissen ihn von der Gattin los,
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